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S C H I E D S R I C H T E R -Z E I T U N G 1 / 2 0 1 7

18

Analyse

B

eginnen wir heute einmal mit

einer Taktik-Frage: Wie nutze

ich den Ballverlust eines weit nach

vorn aufgerückten Gegners?

Einfache Antwort: durch einen

schnellen Gegenstoß. Die Defensive

des Kontrahenten ist noch nicht

wieder in ihrer Grundordnung, Lü-

cken tun sich auf, die es zu nutzen

gilt. Rasches Handeln, schnelles

Umschalten sind gefragt.

Das ist selbstverständlich eine legi-

time Verhaltensweise, die auf den

Trainingsplätzen der Bundesliga

und aller anderen Klassen immer

wieder eingeübt wird und nicht sel-

ten zum Erfolg führt. Die Aufgabe

des Schiedsrichters in einer derar-

tigen Situation? Zum einen so früh

wie möglich zu erkennen, wann

eine solche Umkehrbewegung des

Spiels einsetzt (am besten schon

vorausahnen, wann sie „droht“),

damit er durch eine Erhöhung des

eigenen Lauftempos nah am Spiel

bleiben kann. Zum anderen muss

er, wie immer, darauf achten, dass

alles mit rechten Dingen zugeht.

In einer Szene des Spiels

TSG

1899 Hoffenheim gegen Hertha

BSC (9. Spieltag)

wurde in einer

Umschalt-Situation deutlich, wie

schnell etwas „passieren“ kann,

wenn die Cleverness (oder muss

man sagen Unsportlichkeit?) eines

Spielers mit der Großzügigkeit

(oder sollte man sagen Unaufmerk-

samkeit?) eines Schiedsrichters

zusammenkommt.

Folgende Situation: Der Ball springt

bei einem Angriff von Hertha BSC

An den Werbebanden kann man gut ablesen, wie weit sich der Hoffenheimer Sandro Wagner vom eigentlichen Einwurfort nach vorn

gemogelt hat, es sind rund zwölf Meter.

Foto 1a

Einwurf am ganz

falschen Ort

Acht Szenen aus dem aktuellen Geschehen im Profi-Fußball dienen Lutz Michael Fröhlich und Lutz

Lüttig zur Aufarbeitung von interessanten Regelaspekten. Zu Anfang befassen sie sich mit der auf

diese Weise nicht gestatteten Nutzung einer Spielfortsetzung.

Foto 1b

über die Seitenlinie ins Aus (

Foto 1a,

Pfeil

), knapp 20 Meter in der Hoffen-

heimer Hälfte, in der sich in diesem

Moment auch alle Berliner Feldspie-

ler befinden.

Der Hoffenheimer Sandro Wagner

erkennt die günstige Konstellation,

schnappt sich schnell den Ball,

sprintet etwa zwölf Meter nach

vorn und bringt kurz vor der Mit-

tellinie mit einem weiten Einwurf

seinen Teamkollegen Lukas Rupp

ins Spiel (

Foto 1b

). Auf eine etwaige

Abseitsstellung braucht er ja keine

Rücksicht zu nehmen. Während

sich Rupp am linken Flügel gegen

die dezimierte Berliner Abwehr

durchsetzt, sprintet Wagner in den

Strafraum, kann von niemandem

gestört werden, wird von Rupp

angespielt und scheitert nur ganz

knapp am Berliner Torhüter Rune

Jarstein. Es gibt Eckball.

In den Fernsehbildern sieht man

noch, wie sich Fabian Lustenberger

zum Schiedsrichter umdreht und

schimpft. Weswegen wohl? Der

Berliner hatte genau erkannt, was

Wagner im Schilde führte. Man

kann sich vorstellen, welches Aus-

maß dieser Protest angenommen

hätte, wenn den Hoffenheimern

hier ein Tor gelungen wäre.

„… am Ort einwerfen, an dem der

Ball das Spielfeld verlassen hat“,

heißt die Vorschrift in Regel 15.

Das ist eindeutig. Von zwölf Meter

nach vorn sprinten, steht da nichts.

Merke: Die Großzügigkeit des

Schiedsrichters wird von allen nur

akzeptiert, solange nichts passiert…