Die Integrität des Muskels ist erhalten, man findet keine
Faserunterbrechung, kein Hämatom und auch kein
punktförmiges Schmerzzentrum. Ein therapeutisches
Dehnen im schmerzfreien Bereich wird vom Patienten
ohne Gegenwehr angenommen und führt zu einer Be-
schwerdelinderung.
Beim Faserriss imponieren dagegen mehr oder weniger
große Faserunterbrechungen in einem hypertonen Mus-
kelstrang, die im mm-Bereich liegen und manchmal als
fingerkuppengroße Lücke zu tasten sind. In den ersten
Minuten sind sie nur mit wenig Blut gefüllt, in der Folge-
zeit sammelt sich hier mehr und mehr Blut, die Lücke ist
dann prall gefüllt. Der Faserriss ist sehr druckschmerz-
haft. In den Stunden nach der Verletzung entwickelt sich
eine etwa 5 Tage anhaltende Entzündungsreaktion mit
Verquellung der Verletzungsregion.
Therapie
Bei der neurogenen Form der Muskelverhärtung liegt die
Ursache für die Fehlinnervation in aller Regel im Bereich
der zuzuordnenden Wirbelsäulensegmente. Daher er-
folgt zunächst eine Infiltration des betroffenen Muskel-
stranges in ganzer Länge. Um einen schnellen und an-
haltenden Behandlungserfolg zu erzielen, wird danach
eine umfassende Therapie der entsprechenden Wirbel-
säulensegmente vorgenommen. Diese führt oft unmit-
telbar danach zu einer vom Patienten mit Erleichterung
aufgenommenen Entspannung. Es kann dann in aller Re-
gel nach zwei Tagen wieder trainiert werden. Bleibt die
Infiltrationstherapie der Wirbelsäule und des Muskels
aus, so droht eine tagelange, manchmal wochenlange
Trainingspause. Auch physikalische Maßnahmen, wie
z. B. eine Massage, greifen nicht oder nur sehr langsam.
Der Zustand bessert sich nur kurzfristig, spätestens
aber nach einer halben Stunde Training fällt der Muskel
wieder in den alten Zustand zurück. Eine Muskelverhär-
tung infolge hoher Trainingsbelastung, also Ermüdung,
lässt sich dagegen sehr gut mit physikalischen Anwen-
dungen in Kombination mit Massagen lockern.
Die Therapie der sogenannten Muskelzerrung erfordert
nach den ersten physikalischen Maßnahmen wie beim
Faserriss eine Infiltrationstherapie über mehrere Nadeln
in den verletzten Muskelstrang. Sofern erforderlich wird
dieses therapeutische Vorgehen am zweiten Tag nach
der Verletzung wiederholt. Das Lauftraining im schmerz-
freien Bereich, also im Jogging-Tempo, ab dem ersten,
spätestens dem zweiten Tag nach der Verletzung, also
zum frühestmöglichen Zeitpunkt, sehen wir als thera-
peutische Maßnahme. Der infolge einer Fehlschaltung
verletzte Muskel wird in seiner Funktion geschult und
schneller an seine gewohnte Leistungsfähigkeit heran-
geführt, in aller Regel in drei bis fünf Tagen.
Beim Faserriss dienen die allerersten Maßnahmen „hot-
ice“-Bandage, Kompression und Lagerung dazu, die Blu-
tung so gering wie möglich zu halten. Hierdurch kann
sehr viel Zeit gewonnen werden. Unsere Erfahrung
zeigt, dass jede versäumte Minute bei der Erstversor-
gung in Form eines großflächig angelegten Druckver-
bandes, der immer wieder mit Eiswasser getränkt wird,
einen Tag Zeitverlust bei der Heilung bedeuten kann.
Dies gilt bis zum Ablauf von zehn Minuten. Die Infiltra-
tionstherapie wird unmittelbar nach der Erstversorgung
sowie am zweiten und vierten Tag durchgeführt. Sie ist
geeignet, den Muskeltonus zu normalisieren, die Blutver-
sorgung und -entsorgung zu optimieren, den Energie-
und Strukturstoffwechsel zu unterstützen und die Ent-
zündungsreaktion gering zu halten sowie bestehende
Verklebungen zu lösen. Zu diesem Zwecke exakt in das
Verletzungszentrum sowie proximal und distal davon
über fünf bis sieben Nadeln eine Mischung aus Taumeel
S
®
und Actovegin
®
im Verhältnis 1:2 infiltrieren (siehe
Foto). Zuvor werden die Nadeln unter fortlaufender Frei-
gabe von Meaverin
®
0,5%
nahezu schmerzfrei in das
Muskelbündel eingebracht. Mit dem Lauftraining im Aus-
dauerbereich beginnen wir ab dem fünften Tag nach der
Verletzung. Über eine tägliche Steigerung der Laufzeit
und -intensität gelangen wir nach etwa zehn bis zwölf
Tagen zur Maximalbelastung, ehe dann mit dem Balltrai-
ning begonnen werden kann.
Bedeutung der Wirbelsäule
Im Laufe meiner langjährigen Betreuung gelangte ich
schon sehr früh zu der Überzeugung, dass bei etwa 90%
aller Muskelfaserrisse eine Dysfunktion der Wirbelsäule
ursächlich zugrunde liegt. Ich konnte nämlich feststel-
len, dass bei einer Mitbehandlung der Wirbelsäule und ih-
rer Störfaktoren der Heilungsprozess des Muskelfaser-
risses entscheidend gefördert wird. Die spinale Dysfunk-
tion muss daher mit behandelt werden, wenn dies durch
die Evaluation eines Sportlers angezeigt ist. Nur dann
kann man von einer komplexen, kausalen Therapie von
Muskelverletzungen sprechen.
AUF DEN SPUREN DER NATIONALMANNSCHAFT • 2010
9 3