Die Wurzeln der Moral
Helmut Digel hat in einem Kicker-Interview gesagt, der
Hochleistungssport hätte seine Vorbildfunktion weitest-
gehend verloren. Dieser Meinung bin ich nicht! Um dies
jedoch zu belegen, müssten wir alle gemeinsam etwas
unternehmen. Begrifflichkeiten, die man in diesem Zu-
sammenhang diskutieren muss, und für die man auch
Pläne und Maßnahmen entwickeln muss, sind solche wie
z. B. Wertewandel. Ist die Behauptung richtig, dass sich
unsere gesellschaftlichen Werte nach 1945 komplett
verändert haben? Die protestantische Ethik mit all ihren
Werten ist gefallen, alle hedonistischen, individuellen
und lustbetonten Werte sind gestiegen. Findet dieser
Wertewandel auch im Sport statt? Gibt es eine Werte-
erosion? Hat jeder seine eigene Werteskala? Können wir
uns auf keine gemeinsamen Werte mehr einigen?
Auch die Medien haben um Weihnachten immer wieder
die Frage gestellt, woher das Gute im Gegensatz zum
Bösen käme. Wo liegen die Wurzeln der Moral? Lässt
sich Wachstum eigentlich noch verbinden mit Verant-
wortung, Gewinnmaximierung mit Nächstenliebe,
Shareholder-Value mit Mitgefühl? Diese Fragen lassen
sich auf das Sportsystem übertragen. Da haben wir ähn-
liche Voraussetzungen und die Frage: Wie weit darf und
kann man gehen, ohne mit Werten wie Verantwortung,
Mitgefühl und Nächstenliebe zu brechen?
Peter Hahne schrieb in der Bild am Sonntag „Teilen der
Gesellschaft ist der Anstand abhanden gekommen” und
die Welt am Sonntag mahnte in ihrem großen Interview
„
auch Chefs müssen Vorbild sein.“ Momentan herrscht
eine große Orientierungslosigkeit und Unsicherheit. Auf
der Suche, woher auch immer Halt zu bekommen, Vor-
gaben zu erleben und Regeln zu spüren, wird immer wie-
der ein Defizit festgestellt, das meiner Meinung nach
auch im Sport besteht.
Der bekannte Sozialwissenschaftler Stephan Holthaus
sagt, wir hätten heute zu viele Moralvorstellungen.
Dafür gibt es immer weniger gemeinsame Regeln, jeder
hat seine eigenen. Von der Jugend bis zur National-
mannschaft brauchen wir Freiräume und Grenzen sowie
gesellschaftliche Regeln, die auch für den Sport gelten.
Wir brauchen eine Sportethik, ein Regelwerk, das über
die Spielregeln hinausgeht. Wir müssen die Regeln des
gegenseitigen Umgangs klären. Gerade haben wichtige
Wirtschaftsführer in Deutschland gefordert, man solle
doch zehn Gebote für Unternehmen entwickeln. Wie wä-
re es mit zehn Geboten, zehn Leitlinien, zehn Idealen oder
zehn generellen Wertvorstellungen auch im Fußball?
Umsetzung des Leistungsgedankens
Leistung in humanen und fairen Grenzen ist ohne Ein-
schränkung zu bejahen. Das ist nicht nur im Sport, son-
dern auch in allen andern Arbeitsbereichen und in der
Wissenschaft so. Wir sollten nicht auf einige naive 68er-
Parolen zurückfallen, die mit Leistung nur sehr schlecht
umgehen konnten. Auch sollten wir Leistung nicht allein
auf den physischen Erfolg oder die körperlichen Fähig-
keiten reduzieren, sondern ebenso auf die kognitiven
Strukturen ausdehnen. Besonders wichtig ist mir, dass
•
Respekt und Anerkennung
•
Anstand und Fairness
•
Gleichberechtigung
•
Höchstleistungsstreben
•
Teilnahmeidee
•
menschliche Vervollkommnung
•
Charakterbildung
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ERÖFFNUNG
AKTUELLE WISSENSCHAFT FÜR DEN SPITZENFUSSBALL
ZENTRALE WERTE IM SPORT
Der DFB und die DFL haben eine Reihe von Projekten ins
Leben gerufen, die man in diesem Zusammenhang lo-
bend hervorheben kann. Fan-Projekte gegen Gewalt und
Rassismus, diverse Stiftungen der Dachverbände sowie
ehemaliger Fußballer – das soziale Engagement wird ge-
fördert, die Integrationsbemühungen unterstützt und
Randgruppen sowie Jugendliche an den Sport herange-
führt. Der DFB initiiert Kampagnen gegen Rassismus
und für die Integration arbeitsloser Jugendlicher in be-
stimmte Projekte. Ein nächster notwendiger Schritt ist
die Evaluation oder Bewertung all dieser Projekte, die
teilweise sehr weit auseinander liegen und die man kaum
noch überblicken kann. An dieser Stelle eine Bestands-
aufnahme und eine Bewertung vorzunehmen wäre
sicherlich ein sehr wichtiges Unterfangen.
AKTUELLE PROJEKTE