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PSYCHOLOGISCHE LEISTUNGSVORAUSSETZUNGEN
wirken, um Entwicklungsmerkmale der Spitzenspieler
auszuweisen. Die interessante Frage ist letztlich, ob
irgendeine Methode eine verlässliche Vorhersage er-
möglicht.
Die Schwierigkeit der Talentprognose mag auch darauf
zurückgeführt werden, dass die Merkmale hinsichtlich
des Entwicklungspotenzials z.B. im U8-Bereich, im U10-
Bereich, im Jugendbereich oder bei den Senioren nicht
identisch sind. Das hängt ferner auch damit zusammen,
dass es keinen „genetischen“ oder messbaren Leis-
tungsfaktor gibt, der in frühen Jahren eine valide Vor-
aussage ermöglicht, wer einmal zur Elite gehört.
Es scheint mir eben vielmehr, wie gezeigt, dass der
menschliche Organismus im Kontext von Umweltstres-
soren adaptiert bzw. lernt und Motivation sowie nach-
haltige Selbstdisziplin für eine Karriere relevant sind.
Das bedeutet folgende Implikationen für die Talentent-
wicklung:
Möglichst viele Spieler rekrutieren und so lange wie
möglich im Entwicklungsprozess binden und fördern,
was natürlich von den Ressourcen abhängig ist.
Motivation, Pflichtbewusstsein und Freude vermitteln
und fördern.
Praxisgelegenheiten müssen angemessen und
ausreichend vorhanden sein.
Bereitstellung angemessener (Ausbildungs-)Systeme
und Unterstützungsnetzwerke.
Die letzten beiden Punkte, die 90% der für die Talent-
entwicklung relevanten Faktoren umfassen, werde ich
im Folgenden kurz erörtern.
Was zeichnet eine angemessene Praxis aus? Es bedarf
eines abgerundeten Coaching-Konzepts. Professionelles
Coaching ist stark durch Mentoring-Prozesse geprägt,
dabei gilt es auf Tradition, Intuition und Nachahmung zu
bauen. Ein Problem ist oft, dass die Trainingspraxis auf
Mythen basiert und empirisch evidentes Wissen un-
berücksichtigt bleibt.
In den letzten etwa 20 Jahren hat sich in der wissen-
schaftlichen Literatur die Erkenntnis breit gemacht,
dass instruierende Variablen die Leistung und das Ler-
nen unterschiedlich beeinflussen. Die Leistungsverbes-
serung im Training basiert stark auf einer umfassenden
Informationsvermittlung, wiederholten strukturierten
Übungen und detaillierten Feedbacks des Trainers. Das
Lernen ist dagegen langfristiger angelegt, es geht um
die Erhaltung der verbesserten Leistungsfähigkeit über
einen längeren Zeitraum und die Weiterentwicklung der
anwendungsbezogenen Fähigkeiten sowie deren Trans-
fer auf die Wettkampfanforderungen.
Zusammenhang befassen wir uns u.a. mit der Frage, in-
wieweit sich Spieler, die sich in ihrer Spielintelligenz of-
fensichtlich unterscheiden, vor, während oder nach dem
Training und damit vor dem Wettkampf auch in ihren ge-
danklichen Reflexionen unterscheiden. Daran anknüp-
fend ist weiter interessant, wie man hinsichtlich solcher
Prozesse und in Bezug auf die Selbstreflexion der Spie-
ler intervenieren kann, um zielgerichtet Entwicklungen
im Zusammenhang der Spielintelligenz zu fördern und
zu beschleunigen.
Schließlich befassen wir uns mit den Möglichkeiten eines
Simulationstrainings, d.h., wir versuchen, mithilfe von
Videos, Computeranimationen bis hin zu virtuellen Um-
weltarrangements Wettbewerbsanforderungen zu simu-
lieren. Bei den Eliteclubs der Premiere League sind zur-
zeit sogenannte „Player Tracking Systems“ im Einsatz.
Diese bilden Bewegungskoordinaten der Spieler in be-
stimmten Spielen ab. Hieraus lassen sich virtuelle Spiel-
situationen ableiten. Prinzipiell kann man nun seine
Nachwuchsspieler auf der Folie eines real gespielten
Spiels des FC Barcelona virtuell gegen diesen Club an-
treten lassen. Das bedeutet für die Spieler ein Feedback
hinsichtlich der Eignung ihrer Entscheidungen und be-
günstigt adäquate Reflexionsprozesse.
Implikationen für die Talentsichtung
und -entwicklung
Anhand der dargestellten Zusammenhänge lassen sich
Implikationen für die Talentsichtung und -entwicklung
ableiten.
Bei der Talentsichtung ist zu berücksichtigen, dass das
Können eines Spielers im Teamsport Fußball vielseitig
sein muss, das Erkennen eines Talentes ist daher nicht in
jeder Hinsicht einfach. Würde man zum Beispiele alle
Leistungsprofile der Spieler von Manchester United ver-
gleichen, würde man große Unterschiede hinsichtlich
ihrer individuellen Stärken und Schwächen sehen.
Schwächen in einem Bereich lassen sich aber durchaus
durch anderweitige Stärken kompensieren. Ein Spieler,
der im 10 m-Sprint nicht schnell ist, kann z.B. aufgrund
hoher Spielintelligenz oder technischer Fertigkeiten
trotzdem ein besonders guter Fußballer sein.
Es ist daher schwer, anhand weniger Beobachtungen
und Bewertungen einzelner Charakteristika eine Talent-
auswahl zu treffen.
Zunutze machen kann man sich die interdisziplinären
Forschungskompetenzen in der Sportwissenschaft. In
der Premier League hat man in diesem Zusammenhang
nun den „Elite Player Performance Plan“, eine Förder-
strategie für Spitzentalente entwickelt. Die Clubs sind
aufgerufen, an einer nationalen Datensammlung mitzu-