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DFB-WISSENSCHAFTSKONGRESS 2013
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Kompetenz wird den Könnern in einem bestimmten
Spielzusammenhang mit zeitlich begrenzten Passoptio-
nen zugesprochen, sich mit höherer Wahrscheinlichkeit
für eine geeignete Option zu entscheiden.
Ein Kommentator spricht häufig davon, dass ein Spieler
ein besonderes „Auge“, eine herausragende Spielüber-
sicht hat. Ironischerweise gibt es keine wissenschaft-
liche Evidenz, dass Elitespieler ein besseres visuelles
System als unterklassige Spieler besitzen. Der Unter-
schied betrifft die perzeptiv-kognitiven Strukturen und
begründet sich in einem unterschiedlichen Umfang diffe-
renzierten Fußballengagements im biografischen Ver-
lauf. Könner entwickeln Wissensstrukturen, die es ihnen
ermöglichen, Sinn- und Handlungszusammenhänge
effektiver und effizienter zu reflektieren.
Daher müsste ein Kommentator in einem solchen Fall
genau genommen sagen, dass ein Spieler über eine be-
sondere perzeptiv-kognitive Befähigung verfügt. Denn
dies ist ein fundamentaler Faktor der Spielintelligenz.
Die interessante Frage für die Praxis ist nun, wie man
diese Befähigung und damit die Spielintelligenz ent-
wickeln kann.
Von der Theorie zur Praxis: die Entwicklung
von Spielintelligenz
Was Vereine wollen, ist beispielsweise ein 22-jähriger
zentraler Innenverteidiger mit der Spielintelligenz eines
28-
jährigen Innenverteidigers. Wie kann also die Wissen-
schaft genutzt werden, um die entsprechenden Fähig-
keiten schneller zu entwickeln. In den letzten Jahren ha-
ben wird diesbezüglich verschiedene Aspekte ins Auge
gefasst, aber noch nicht abschließend erforscht.
Zunächst wäre wichtig, optimale Praxisbedingungen zur
Entwicklung von Entscheidungskompetenz zu identifi-
zieren. In diesem Zusammenhang ist wenig überra-
schend mit Blick auf die Akademie-Spieler deutlich ge-
worden, dass der Umfang an „Straßenfußball“-Aktivitä-
ten diese Entwicklung begünstigt. Es kann angenommen
werden, dass Spieler im freien Spiel mit vielen Anforde-
rungen des Wettkampfes im modernen Fußball konfron-
tiert werden, u.a. verinnerlichen sie, ständig optimale
Entscheidungen treffen zu müssen.
Dann wäre die Wichtigkeit von trainer-geleiteten Akti-
vitäten im Vergleich zu solchen nicht angeleiteten Akti-
vitäten in Bezug auf die Entwicklung von Spielintelligenz
besser einzuschätzen. Wir sind zurzeit dabei, dies ge-
nauer zu erforschen und abzuwägen.
Ferner haben wir begonnen, psychologische Faktoren,
meta-kognitive Strategien hinsichtlich ihrer Bedeutung
für die Spielintelligenz zu beleuchten. In diesem
der vorher gezeigten Aktionen, die andere Hälfte neue
Aktionen. Die besseren Spieler können wiederholte und
neu gezeigte Aktionen besser unterscheiden. Sie können
detaillierte Muster und Ähnlichkeiten besser identifizie-
ren, Gruppen- und Spielerpositionen genauer mit Struk-
turen verknüpfen. Es ist anzunehmen, dass diese Fähig-
keit für die Antizipation bedeutend ist und es kann argu-
mentiert werden, dass die Könner in zehn Jahren und
10.000
Stunden Fußballpraxis über entsprechende Ad-
aptionen in höherem Maße entsprechende neurologi-
sche Strukturen hinsichtlich des Erinnerungs- und Be-
urteilungsvermögens ausbilden, die es ihnen besser er-
möglichen, Muster und Handlungssequenzen im Fußball
zu identifizieren und darauf effektiv zu reagieren.
•
Visuelle Suchstrategien
Spitzenspieler offenbaren auch effektivere visuell gelei-
tete Suchstrategien.
Das misst man typischerweise mit dem sogenannten
„
Eye Moving Recording System“ (Abb. 3).
Anhand eines Infrarotlichtes, das die Augenbewegungen
reflektiert, werden die visuellen Orientierungen der Spie-
ler aufgezeichnet und auf ein Display übertragen. Die Eli-
tespieler fixieren im Vergleich zu unterklassigen Spie-
lern in höherem Maße verschiedene Areale des Raumes
in variierender Dauer, nutzen also ein größeres Sichtfeld
und vermehren damit ihre Handlungsoptionen. Diese
Suchstrategie variiert abhängig von einer Situation und
jeweiligen (taktischen) Aufgabe. Ein Beispiel: Ein Innen-
verteidiger befindet sich an der Strafraumkante, der
Gegner ist an der Mittellinie in Ballbesitz. Spitzenspieler
fixieren jeweils kurzdauernd eine Menge Punkte im
Raum („Visual Snapshots“), sie scannen gewissermaßen
das Spielfeld während sie sich zum Geschehen mit der
Absicht der Balleroberung orientieren. Wenn sich der
Gegner jedoch dem Strafraum nähert, fixieren sie den
Ball und das nähere Geschehen anhaltend, Optionen des
Gegners außerhalb des fokussierten Sichtfeldes werden
durch das periphere Sehen wahrgenommen.
Ein guter Mittelfeldspieler in der Premier League wie
Frank Lampard bewegt in der Regel alle zwei Sekunden
seinen Kopf, um das (mögliche) Geschehen auf dem
Spielfeld visuell zu erfassen und einzuordnen.
•
Situations- bzw. Aktionsanalyse
Daran anknüpfend besitzen Spitzenspieler ein präzise-
res situatives Beurteilungsvermögen, d.h., sie antizipier-
ten mit größerer Genauigkeit geeignete Handlungsfol-
gen einer bestimmten Spielsituation. Diese Erkenntnis
basiert auf den Bewertungen von Spitzentrainern im
Rahmen einer Paneluntersuchung. Auf der Basis dieser