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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 6 / 2 0 1 4
Nachruf
Zum Tod von Kurt Tschenscher
1948
wurde er Schiedsrichter und blieb es sein Leben lang – als Aktiver war Kurt Tschenscher
Deutschlands erfolgreichster Unparteiischer, als Funktionär ein nimmermüder Helfer des Fußballs
und letztlich als genauer Beobachter der Szenerie ein gesuchter Ratgeber. Ein Nachruf von Lutz
Lüttig.
A
nfang Oktober 2008 trafen sich
Kurt Tschenscher und Felix
Brych zu einem von der Schieds-
richter-Zeitung angeregten „Gespräch
der Generationen“, in dem der
damals 80-Jährige temperament-
voll deutlich machte, wie sehr er
sich der Sache immer noch zuge-
hörig fühlte.
Als es um das Verhältnis der
Schiedsrichter zu den Spielern und
übrigen Akteuren des Profi-Fuß-
balls ging, sagte Tschenscher: „Ja,
Felix, die Distanz zu den handeln-
den Personen ist wirklich wichtig.
Es geht schließlich um immer
mehr Geld, und eure Aufgabe wird
ständig schwieriger. Aber ich hab’s
ja schon gesagt: Ich würde mich
dem gern stellen und noch mal
richtig mitmischen auf dem Platz.
Mein Blut kommt bei schweren
Vergehen und groben Unsportlich-
keiten auch noch mit 80 Jahren in
Wallung, sodass mich meine Frau
vor dem Fernseher immer bremsen
möchte: ,Bitte, Kurt, reg’ dich doch
nicht so auf, du hast doch mit der
Sache nichts mehr zu tun.‘ Aber da
liegt sie ausnahmsweise mal falsch –
ich werde immer mit euch mitfie-
bern, Felix!“
Er hätte es mit Sicherheit auch in
dieser Saison getan, aber Kurt
Tschenscher ist am 13. August, kurz
vor Beginn der neuen Spielzeit, im
Kreiskrankenhaus von Schwetzin-
gen im Alter von 85 Jahren gestor-
ben.
Geboren im heute polnischen
Zabrze (damals Hindenburg/Schle-
sien) kam er – kurz vor Kriegsende
noch in amerikanische Gefangen-
schaft geraten – 1947 nach Mann-
heim, wo er beim Stadtteilverein
VfL Neckarau Fußball spielte. Er
lernte Versicherungskaufmann und
wurde später stellvertretender Lei-
ter des Sportamts der Stadt.
Kurt Tschenschers Schiedsrichter-
Karriere als Aktiver und auch als
Funktionär ist nach seinem Tod in
vielen Medien gewürdigt worden.
Kein Wunder, mit drei WM-Teilnah-
men (1966, 1970, 1974) gilt er als
der erfolgreichste Unparteiische
Deutschlands. Seine weiteren
Meriten sind problemlos im
Internet nachlesbar und auch
die Schiedsrichter-Zeitung (siehe
vor allem die Ausgaben Nr. 6/2008
und Nr. 1/2009) ist darauf einge-
gangen.
Deshalb sei es gestattet, in diesem
Nachruf den großartigen Schieds-
richter Kurt Tschenscher noch ein-
mal selbst zu zitieren, denn er war
ein wunderbarer Erzähler mit
einem ausgezeichneten Gedächt-
nis. Bei dem bereits erwähnten
Gespräch mit Felix Brych ging er
auch auf die Frage seiner Anfänge
als Schiedsrichter im Jahr 1948
ein.
„
Das war purer Zufall. Unser Ver-
einsvorsitzender hat mich bedrängt,
als beim Spiel unserer A-Jugend
kein Schiedsrichter kam. Ich wollte
nicht, schließlich hatte ich meine
einzige vernünftige Hose an. Das
war ja gleich nach dem Krieg und
dann auf so einem Sandacker! Ich
spiele zwar Fußball, sagte ich zu
ihm, aber ich hab’ doch keine
Ahnung von den Regeln. – Du
stellst dich in die Mitte und siehst
doch auch von da, ob ein Foul pas-
siert.
Ich bin also rein in das Spiel. Als es
herum war, kommt da ein Herr auf
mich zu: Sagen Sie mal, junger
Mann, ich hab’ Sie da pfeifen
sehen. Also, aus Ihnen könnte ein
Schiedsrichter werden. Sie sind
zwar bloß rumgestanden, aber was
Sie gepfiffen haben, war gut.
Schlagen Sie den Weg ein, machen
Sie eine Schiedsrichter-Prüfung. –
Aber ich spiel‘ doch Fußball, hab‘
ich gesagt. Na, sagt er, wir suchen
doch junge Leute wie Sie. So viele
ältere Schiedsrichter-Kameraden
sind nicht aus dem Krieg zurück-
gekehrt. Sie können ja trotzdem
Fußball spielen. – Das war Emil
Schmetzer, damals schon eine
Koryphäe. Später hat er Endrun-
denspiele um die Deutsche Meis-
terschaft gepfiffen – und ich stand
bei ihm an der Linie!
Er hat mir dann den Termin für den
nächsten Schiedsrichter-Kurs
gesagt, und ich bin da hingegan-
gen. Hermann Woll hieß der Ausbil-
der, zu dem wir an sechs Abenden
gingen. Die Prüfung hab‘ ich
bestanden, mit zwei Fehlern,
glaub‘ ich. Und dann kamen die
Jugendspiele. Das erste war eine
B-Jugend-Begegnung in Sandhofen,
ausgerechnet beim Spielverteiler,
Ansetzer sagt man heute. Leo
Streit hieß der. Und der hat nach
dem Spiel dem Schmetzer mitge-
teilt: Du, da haben wir anscheinend
einen guten jungen Mann an Land
gezogen. Aus dem kann was wer-
Kurt Tschenscher (1928 – 2014).