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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 5 / 2 0 1 4
Blindenfußball
spieler „Voy“ rufen, eine spanische
Kurzform für „Ich komme“. Ein
Angriff ohne „Voy“ gilt als Foul.
Patrick hebt die Bedeutung dieser
Regel hervor: „Ein Einhalten dieser
Regel reduziert die Verletzungsge-
fahr stark, deswegen ist es unsere
Aufgabe, darauf zu achten. Gerade
bei Amateurspielern müssen die
Spieler ständig zum ‚Voy’-Sagen
animiert werden, um den Spiel-
fluss zu erhalten.“
Vermeintliche Fouls
sind anders zu bewerten
Doch diese Regel ist nicht der ein-
zige Grund, der dafür sorgt, dass
eine Foul-Situation in einem Blin-
denfußballspiel häufig differen-
ziert zu bewerten ist: „Im norma-
len Fußballspiel kann man davon
ausgehen, dass ein Zusammenstoß
oder ein Stolpern über den Fuß
eines anderen Spielers nicht ein-
fach mal so passiert. Oft unter-
stellt man bei solchen Situationen
dem Spieler eine Absicht“, erklärt
Patrick.
Was Zweikämpfe angeht, erscheine
ein Blindenfußballspiel zwar für
Außenstehende mitunter sehr
robust; längst nicht alle vermeint-
lich strafwürdigen Situationen sind
allerdings auch tatsächlich ein
Foul.
Ein sehr körperbetontes Spiel, das
weiß Patrick Sapountzoglou aus
Erfahrung, ist unter Blinden ganz
normal. Auch die Kategorie des
Fouls verschiebe sich im Vergleich
zu einem gewöhnlichen Spiel: „Ein
nicht gesagtes ‚Voy’ ist das häufigste
Foul“, erläutert Patrick, „viel selte-
ner haben wir beispielsweise
Handspiele.“
Selbstverständlich gebe es auch
normale“ Foulspiele, bei denen
ein Angreifer zu Boden gebracht
wird und somit seine Vorteil-Situa-
tion nicht ausnutzen kann, diese
passieren jedoch meist unabsicht-
lich.
Ein zusätzlicher Aufgabenbereich,
der bei einem Blindenfußballspiel
für einen Schiedsrichter hinzu-
kommt, ist die Kontrolle der Rufer-
zonen. Um einen zu hohen Laut-
stärkepegel zu vermeiden, dürfen
der sehende Torwart sowie der
Guide im mittleren Drittel und der
Guide im Angriffsdrittel den eige-
nen Spielern nur dann taktische
Kommandos zurufen, wenn der
Ball sich in ihrem Drittel befindet.
Für die Spielleiter eine besondere
Herausforderung, weiß auch Niels
Haupt, der Schiedsrichter-Obmann
der Deutschen Blindenfußball-
Bundesliga (DBFL). Natürlich lässt
auch er sich den ersten Spieltag in
Mainz nicht entgehen. Trotz der
Schwierigkeiten bei der Beurtei-
lung muss aber auf die Einhaltung
der Ruferzonen geachtet werden:
Wenn die Spieler zu sehr mitge-
rissen werden und die Regeln
nicht einhalten, müssen wir ein-
greifen.“
Von Sehbehinderten lernen
In diesem Moment wandert Niels‘
Blick zum Spielfeld, auf dem ein
Spieler seinen Angriff startet, den
sehenden Torwart tunnelt und den
Ball ins Netz schießt. Die Zuschauer
jubeln. „Wenn ich Freunden, die
selbst Fußballer sind, Videos
zeige, reagieren sie oft ungläu-
big“, lacht Schiedsrichter Patrick
Sapountzoglou, „sie können nicht
glauben, dass die Spieler blind
sind.“
Die Achtung der Unparteiischen
vor den Fähigkeiten der Blinden
kommt nicht von ungefähr: Wäh-
rend des Lehrgangs zur Ausbil-
dung als Blindenfußball-Schieds-
richter schlüpfen die Teilnehmer
selbst in die Rolle eines Blinden.
Diese Blinderfahrung sorgt für
viel Spaß unter den Schiedsrich-
tern.
Lachend erzählt Christian Jung
von der Herausforderung, blind
zu frühstücken: „Wir wurden von
einem anderen Schiedsrichter
geführt und haben versucht, uns
Marmelade und Butter aufs Brot
zu schmieren.“ Dies habe sehr
amüsant ausgesehen, „irgend-
wann war alles total verschmiert.“
Neben dem Spaßfaktor helfe dies
jedoch vor allem, sich in die Situa-
tion Sehbehinderter einzufühlen.
Christian sagt: „Ich habe definitiv
eine große Achtung vor den Leis-
tungen der Spieler!“
Auch wenn die Spieler nichts sehen können, ist eine klare
Gestik für Zuschauer und Guides am Spielfeldrand wichtig.
Beim Blindenfußball geht es robust zu – dennoch ist längst nicht jeder Körperkontakt ein Foul.