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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 3 / 2 0 1 4
Analyse
ten Situationen sammeln und sich
daraus Aktionsmuster schaffen.
Später ist dann sicherlich menta-
les Training ein Weg; sich also
immer wieder Spielsituationen vor
das geistige Auge zu holen und sie
dann zu lösen.
Eines soll hier aber nicht ver-
schwiegen werden: Wer sich zu
sehr auf seine Antizipations-
Fähigkeit verlässt, kann auch mal
danebenliegen. Dann nämlich,
wenn er etwas in eine Situation
hineinsieht“ und entsprechend
entscheidet, obwohl sich die Anti-
zipation, also die geistige Vorweg-
nahme des Bewegungsablaufs, gar
nicht in reales Geschehen verwan-
delt hat.
***
In ähnlicher Weise wie Tobias Stie-
ler handelt Schiedsrichter Daniel
Siebert in einer Situation des
Spiels
1.
FC Nürnberg gegen Ein-
tracht Braunschweig (22. Spiel-
tag).
Als Nürnbergs Torwart
Raphael Schäfer den Ball nach
links aus dem Strafraum zu Javier
Pinola herausspielt, bewegt sich
der Schiedsrichter zunächst in der
Mitte der Nürnberger Hälfte,
bereit, jeder Art des Spielaufbaus
folgen zu können (zum Beispiel
Kurzpass-Spiel oder langer
Schlag“ nach vorn).
Siebert rechnet damit, dass Pinola
den Ball an der Linie entlang zu
seinem Kollegen Marvin Platten-
hardt spielen wird, weil der sich
dort freistehend anbietet. Macht
der Nürnberger aber nicht, statt-
dessen passt er ihn recht lässig
quer vor dem eigenen Strafraum
zu Mike Frantz. Der Schiedsrichter
ist alarmiert, denn Frantz wird
sofort vom flinken Braunschwei-
ger Stürmer Domi Kumbela unter
Druck gesetzt. Und tatsächlich:
Kumbela erkämpft sich den Ball,
während der Unparteiische sofort
in Richtung des Zweikampfs läuft.
Kumbela befindet sich nach eini-
gen schnellen Schritten im Straf-
raum der Nürnberger, wo ihm in
zentraler Position Torwart Raphael
Schäfer entgegenkommt. Er
grätscht zum Ball, kommt aber
einen Tick zu spät. Deshalb bringt
der Torwart den Braunschweiger
zu Fall
(
Fotos 2a und 2b).
Weil er
seiner „Ahnung“ gefolgt ist, dass
hier etwas passieren kann, hat
Schiedsrichter Siebert eine sehr
gute Position zu der Szene. Dank
eines ungestörten Einblicks in den
Vorgang kann er das nicht einfach
zu erkennende Fußfoul des Tor-
warts regelgerecht mit einem
Strafstoß ahnden.
Und auch die Persönliche Strafe –
Gelb“ für Schäfer – trifft er rich-
tig. Denn es handelt sich hier
nicht um eine „Notbremse“, weil
Kumbela auch ohne das Foul des
Torwarts den Ball nicht mehr hätte
erreichen können. Es war dem
Stürmer nämlich nicht gelungen,
den Ball kontrolliert an Schäfer
vorbei zu spielen. Stattdessen
hatte er ihn ziemlich scharf quer
nach links geschossen, wo ein in
der Nähe stehender Nürnberger
Torwart Schäfer kommt mit seiner Grätsche zu spät…
und bringt den Braunschweiger Kumbela zu Fall.
Der Ball wird unmittelbar danach von einem Nürnberger
gespielt.
Barnetta (rotes Trikot) führt den Ball im Stuttgarter Straf-
raum,…
Foto 2a
Foto 2b
Foto 2c
Foto 3a