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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 2 / 2 0 1 4
Analyse
Es handelt sich hier um eine der
wirklich seltenen krassen Abseits-
Fehlentscheidungen im deutschen
Profi-Fußball. Was könnte die Ursa-
che sein? Mentale Müdigkeit?
Eher nicht, denn es läuft erst die
15.
Minute. Ablenkung? Möglich.
Denn sicherlich wird der Assistent
durch den unmittelbar vor ihm ste-
henden Flankengeber der Braun-
schweiger etwas gestört und in sei-
ner Sicht auf die Spielsituation
behindert. Bleibt dennoch die Frage,
wie er den Hoffenheimer, der das
Abseits aufhob, „übersehen“ konnte.
Das ist schwieriger zu beantworten
als die Frage, wie er den Fehler
höchstwahrscheinlich vermieden
hätte. Dazu hätte der Assistent
seine korrekte Position einnehmen
müssen, nämlich auf Höhe dieses
vorletzten Abwehrspielers. Dann
hätte er den Hoffenheimer sicher-
lich nicht ausgeblendet. So aber
steht er falsch – siehe
Foto 4a
und muss die Situation mit
Schrägblick“ einordnen.
Dies ist wohlgemerkt ein Erklä-
rungsversuch, wie es zu der Fehl-
entscheidung kommen konnte, und
keine Ausrede. Dass auf diesem
Fußballniveau solche Fehler nicht
passieren dürfen, weiß auch dieser
Assistent.
***
Und nochmal „Abseits“. Und noch-
mal spielt der Assistent – wie ja
eigentlich immer, wenn es sich um
die Regel 11 dreht – eine wichtige
Rolle. Diesmal allerdings, weil er
nichts macht. Es handelt sich um
eine Szene aus der
3.
Liga, 21. Spiel-
tag: RB Leipzig gegen den Halle-
schen FC.
Als der Ball in Richtung Strafraum
von Halle geflankt wird, steht kein
Leipziger Spieler im Abseits. Kurz
vor dem Strafraum verlängert
Angreifer Poulsen in einem engen
Kopfballduell mit einem Gegner
den Ball
(
Foto 5a)
.
In diesem
Moment steht der Leipziger Frahn
im Abseits. Er erläuft den Ball und
erzielt ein Tor. Dann schaut Frahn
zum Assistenten hinaus, weil er
sicherlich ahnt, dass er im Abseits
gestanden haben könnte. Da die
Fahne nicht gehoben wird, beginnt
der Torschütze seinen Jubeltanz.
Der Assistent hatte die Ballverlän-
gerung aus seiner Perspektive
nicht erfasst. Deshalb gab er kein
Fahnenzeichen. Aber Schiedsrichter
Daniel Siebert, der einen sehr guten
Blick auf die Szene hatte, tat etwas,
was fast ausschließlich Schiedsrich-
ter machen, die ihre Spiele ohne
Assistenten-Unterstützung leiten
müssen (und das sind ja weit mehr
als 90 Prozent!): Er „checkte“ die
Situation auf eine strafbare
Abseitsstellung des Leipziger
Angreifers, stellte eine solche fest –
und pfiff!
Ein positives Beispiel dafür, dass
der Schiedsrichter die Abseits-Ver-
antwortung nicht ausschließlich
seinen Assistenten überlassen darf.
Sicherlich sind Abseits-Entschei-
dungen im Profi-Fußball fast immer
äußerst knapp, und die Unpartei-
ischen tun gut daran, sich auf ihre
Assistenten zu verlassen. Aber auch
diese „Regel“ hat ihre Ausnahmen,
wie es hier Schiedsrichter Siebert
beispielhaft gezeigt hat.
Eine Anmerkung zu dieser Szene sei
noch gestattet: Der TV-Reporter,
der meinte, das Überstimmen des
Assistenten durch den Schiedsrich-
ter hämisch kommentieren zu müs-
sen („Höchststrafe für einen Fah-
nen-Mann!“) und ihn dabei auch
noch groß im Bild zeigte, hat den
Sinn und Geist der Regeln 5 („Der
Schiedsrichter“) und 6 („Die
Schiedsrichter-Assistenten“) nicht
verstanden: Von Bedeutung für die
Zusammenarbeit und damit für das
Spiel ist ausschließlich, dass die
richtige Entscheidung gefällt wird.
Das war hier der Fall, weshalb sich
der Assistent auch nicht „bestraft“
fühlte, sondern froh war, dass sein
Chef“ die Situation richtig gelöst
hatte.
***
Die Spielklasse ist eigentlich egal:
Wenn zwei Top-Teams aufeinander-
treffen, überlegt wohl jeder Anset-
zer einen Augenblick länger, wen er
dort hinschickt. Denn dieser Schieds-
richter muss Ruhe, Gelassenheit,
und lässt deshalb das Spiel mit einem indirekten Freistoß fort-
setzen.
Als der Ball am Torraum verlängert wird, steht kein Braun-
schweiger im Abseits, …
Schiedsrichter Siebert hat eine gute Sicht auf die strafbare
Abseits-Situation …
dennoch hebt der Assistent die Fahne, als ein Angreifer an den
Ball kommt.
Foto 4a
Foto 4b
Foto 5a
Foto 5b