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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 2 / 2 0 1 4
Analyse
Seltene Situation: Der Schiedsrichter zeigt die Rote Karte und
deutet auf den Spieler, der gerade mit einer Trage vom Platz
gebracht wird.
Die Szene, die zu dem Feldverweis geführt hat: Der Mainzer
Sliskovic fliegt auf Torwart Schäfer zu.
Rote Karte auf der Trage
Auch wenn inzwischen die Rückrunde der Bundesliga-Saison 2013/14 läuft, gibt es doch noch einige
Szenen aus der Hinrunde, die man näher beleuchten sollte. Lutz Michael Fröhlich und Lutz Lüttig
tun das vor allem unter dem Aspekt der Allgemeingültigkeit: Was lässt sich aus dem Geschehen in
den Profi-Ligen für alle Schiedsrichter ableiten und lernen?
E
igentlich ist es eine der unan-
genehmeren Situationen für
einen Schiedsrichter: Wenn nach
einem groben Foulspiel nicht das
Opfer, sondern der Täter am Boden
liegen bleibt, darf sich der Unpar-
teiische in seiner Entscheidung
davon nicht beeinflussen lassen.
Wie schwerwiegend auch immer
die Verletzung des zu bestrafen-
den Spielers sein sollte.
Im Spiel des
1.
FC Nürnberg gegen
Mainz 05 (15.Spieltag)
kommt es
zu einer solchen Szene: Bei einem
hohen Ball in den Nürnberger Straf-
raum springt der Mainzer Sliskovic
mit gestrecktem Bein und der
Sohle voraus Torwart Raphael
Schäfer in Kopfhöhe entgegen
(
Foto 1b)
.
Als der Torwart den Ball
mit den Armen abwehren will,
knickt Sliskovic sein Bein zwar
etwas ein, trifft Schäfer aber trotz-
dem noch mit der Sohle voraus in
Beckenhöhe.
Keine Frage: Das ist eine Attacke,
mit der die Gesundheit des Gegen-
spielers gefährdet wird und die
deshalb einen Feldverweis nach
sich ziehen muss, den Schiedsrich-
ter Manuel Gräfe dann auch aus-
spricht.
Bis es so weit ist, dauert es aller-
dings eine Weile. Zwar kann der
attackierte Torwart Schäfer
schnell wieder aufstehen, dafür
bleibt der Angreifer am Boden lie-
gen. Medizinisches Personal betritt
auf ein Zeichen des Unparteiischen
den Platz, Sliskovic wird behandelt.
Auch als deutlich wird, dass der
Mainzer mit einer Trage vom Platz
gebracht werden muss, agiert
Schiedsrichter Gräfe mit viel Über-
sicht und Ruhe. Er beobachtet die
Behandlungs-Situation aus einigen
Metern Entfernung. Auch um zu
vermeiden, dass Nürnberger Spie-
ler zu ihm kommen, um eine Per-
sönliche Strafe zu fordern, hat er
die Rote Karte bereits in die Hand
genommen.
Als die Helfer die Trage mit dem
Spieler anheben, hält der Schieds-
richter die Karte in die Höhe und
deutet zugleich auf den Spieler
(
Foto 1a)
.
Dazu unterrichtet er
auch noch den Mainzer Spielführer
über den Feldverweis. Es ist dabei
unwesentlich, ob Sliskovic die Rote
Karte wahrgenommen hat oder
nicht. Deutlich ist für alle Beteilig-
ten, dass der Schiedsrichter die
Attacke entsprechend den Regeln
sanktioniert hat und die Mainzer in
Unterzahl weiterspielen müssen.
Auch in diesem Fall gilt: Der Unpar-
teiische fällt sein Urteil nur mit
Blick auf den reinen Vorgang – und
nicht auf die Folgen. Ob der Main-
zer Spieler vielleicht versucht hat,
ihn mit einer (vorgetäuschten?)
Verletzung milde zu stimmen oder
gar meinte, so der Bestrafung ent-
gehen zu können, ist für den
Schiedsrichter keinen Gedanken
wert.
So hart es klingt: Selbst wenn der
„
Täter“ sich erkennbar schwer ver-
letzt hat, muss der Schiedsrichter
den Feldverweis aussprechen.
***
In der vorangegangenen Ausgabe
der DFB-Schiedsrichter-Zeitung
ging es in einigen Szenen um die
Beurteilung von „Abseits“. Dabei
stand die neue und genauere Defi-
nition des Begriffs „einen Gegner
beeinflussen“ im Mittelpunkt. Es
heißt ja jetzt im Regeltext: „… den
Gegner angreift, um den Ball spie-
len zu können“. Darüber darf man
aber die zweite Definition nicht
außer Acht lassen, die schon län-
ger Bestand hat: „… einen Gegen-
spieler daran hindert, den Ball
spielen zu können, indem er ein-
deutig die Sicht des Gegners ver-
sperrt“.
Die Szene dazu: Im Spiel
1899
Hof-
fenheim gegen Borussia Dort-
mund (16. Spieltag)
wird der Ball
vom Dortmunder Marco Reus aus
rund 15 Metern Entfernung auf das
Hoffenheimer Tor geschossen. Sein
Mitspieler Robert Lewandowski
befindet sich bei diesem Schuss in
einer Abseitsposition am Torraum
(
Foto 2a)
.
Er versucht, mit dem lin-
Foto 1a
Foto 1b