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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 5 / 2 0 1 3
Lehrwesen
■
War der Ball unmittelbar vor der
Torerzielung aus dem Spiel, so
muss er regelgerecht wieder ins
Spiel gebracht worden sein.
■
Aus bestimmten Spielfortset-
zungen heraus kann ein Tor
nicht direkt erzielt werden.
■
Ist der Ball vor der Torerzielung
durch einen äußeren Einfluss
aufgehalten worden, so kann ein
Tor nicht anerkannt werden.
■
Spieler der angreifenden Mann-
schaft dürfen vor der Torerzie-
lung nicht gegen die Spielregeln
verstoßen haben. Hierbei sind
vor allem die Regeln 11 (Abseits)
Deniz Aytekin (35) leitet
seit 2008 Spiele in der
Bundesliga.
In unserer Rubrik „Aus der
Praxis – für die Praxis“ beant-
wortet dieses Mal FIFA-
Schiedsrichter Deniz Aytekin
fünf Fragen zum Thema Torer-
zielung.
Herr Aytekin, was können Sie
als Schiedsrichter tun, wenn
die Angreifer bereits einen
vermeintlichen Treffer beju-
beln – Sie allerdings Zweifel
haben, ob der Ball die Torlinie
tatsächlich vollständig über-
schritten hat?
Deniz Aytekin:
Grundsätzlich
ist die Beurteilung von „Tor“
oder „kein Tor“ eine der wich-
tigsten Entscheidungen im
Spiel. Wenn Zweifel bestehen,
muss der Schiedsrichter
umgehend Blickkontakt zu
seinem Assistenten aufneh-
men. Dieser sollte seine Ent-
scheidung deutlich anzeigen.
Ist der Schiedsrichter ohne
neutrale Assistenten im Ein-
satz und hat Zweifel, kann er
das Tor nicht anerkennen.
Der Schiedsrichter muss sich
sicher sein, dass der Ball die
Torlinie vollständig über-
schritten hat, um auf Tor ent-
scheiden zu können.
Inwieweit darf man die unmittelba-
ren Reaktionen der Spieler in seine
Entscheidung einfließen lassen, ob
man auf Tor erkennt oder nicht?
Wie reagieren Sie zum Beispiel,
wenn mehrere Verteidiger auf sie
zustürmen und vehement ein
Hand- oder Foulspiel des Angrei-
fers vor der Torerzielung rekla-
mieren?
Aytekin:
Spielerreaktionen können
manchmal bei der Entscheidungs-
findung unterstützen. Bei so einer
wichtigen Entscheidung wie Tor
oder kein Tor, kann aber die Grund-
lage der Entscheidung nicht die
Spielerreaktion alleine sein. Wenn
protestierende Spieler auf einen
zustürmen, ist es sehr wichtig, ste-
hen zu bleiben und sich nicht trei-
ben zu lassen.
Immer mal wieder kommt es vor,
dass auch der Torhüter protes-
tiert, er sei im Torraum vom
Angreifer behindert worden. Was
sind die Kriterien, um zu entschei-
den, ob es sich bei einem Kontakt
zwischen Stürmer und Torhüter
tatsächlich um ein Foulspiel han-
delt?
Aytekin:
Als Schiedsrichter muss
man insbesondere darauf achten,
ob die Aktion des Stürmers aus-
schließlich auf den Ball gerichtet
ist, oder ob der Stürmer mit sei-
nem Körper oder den Armen den
Torhüter in irgendeiner Weise hin-
dert. Wichtig für die Entscheidung
ist auch zu erkennen, wer den Kon-
takt initiiert.
Was kann man als Schiedsrichter
bereits präventiv tun, um die kor-
rekte Torerzielung während des
Spiels genau zu erkennen?
Aytekin:
Je näher sich das Spiel
in Richtung Strafraum verlagert,
desto mehr muss der Schiedsrich-
ter für Aktionen sensibilisiert sein.
Um die Aktionen richtig bewerten
zu können, sind Spielnähe, aber
auch das Stellungsspiel von großer
Bedeutung. Als Schiedsrichter
muss man sich immer dorthin
orientieren, wo mögliche Zwei-
kämpfe entstehen können. Die
sogenannte flexible Diagonale hat
sich dabei gut bewährt.
Praktische Tipps von Deniz Aytekin
Höchste Aufmerksamkeit in Strafraumnähe
Wie sprechen Sie sich inner-
halb Ihres Teams ab, um trotz
Notieren eines Tores auch ein
mögliches Trikotausziehen
oder Ballwegschießen in der
Folge zu registrieren?
Aytekin:
Der Schiedsrichter
sollte unmittelbar nach einer
Torerzielung generell nichts
notieren und seine vollständige
Aufmerksamkeit den mög-
lichen Problemquellen wid-
men. Nach einer Torerzielung
werden auf beiden Seiten
hohe Emotionen ausgelöst.
Diese können zu unkontrol-
lierten und unerlaubten Aktio-
nen führen. Das Schiedsrich-
ter-Team sollte nach der
Torerzielung deshalb seinen
Fokus auf die Spieler richten.
Im Anschluss kann dann die
Torerzielung notiert werden.
und 12 (Verbotenes Spiel und
unsportliches Betragen) zu
beachten.
In einem Impulsreferat sollen die
Lehrwarte ihren Schiedsrichtern am
Lehrabend diese wichtigen Informa-
tionen deutlich machen. Auch
erfahrenere Unparteiische können
so ihr Wissen in Sachen Spielregeln
auffrischen und vertiefen.
Ihnen, wie auch den jüngeren
Schiedsrichtern, muss bei dieser
Arbeit deutlich werden, dass sie nur
dann auf Tor entscheiden dürfen,
wenn sie absolut überzeugt sind,
dass der Ball die Torlinie vollständig
überschritten hat.
Doch es sind nicht nur regeltech-
nische Vorgaben, die beim Thema
„
Tore entscheiden die Spiele“ von
Bedeutung sind. Die Verfasser
geben im Lehrbrief zugleich Hin-
weise zum passenden Verhalten
eines Schiedsrichters während
und nach einer Torerzielung. Die-
ses kann am Beispiel entsprechen-
der Videoszenen analysiert wer-
den.
So gehört es zu einer prozess-
orientierten Bearbeitung solcher
Szenen, die Laufwege, die Körper-
sprache des Unparteiischen und
die Zusammenarbeit mit den bei-
den Assistenten nach dem Tor
anzusprechen. Die Frage nach der
Position des Schiedsrichters, als
das Tor erzielt wurde, darf darüber
hinaus ebenso wenig fehlen wie
der Hinweis auf die Kommunika-
tion mit den Spielern bei Kritik.
Damit wird deutlich, dass die Frage
nach der gültigen Torerzielung
mehr ist als der Blick auf die Tor-
linie mit dem Hinweis: „Er war
drin!“ Denn schließlich muss den
Schiedsrichtern bewusst sein, dass
die Anerkennung eines Tores zu
den bedeutendsten Entscheidun-
gen in einem Fußballspiel gehört.
Heißt es doch in Regel 10: „Das
Team, das während eines Spiels die
meisten Tore erzielt, hat gewon-
nen.“