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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 4 / 2 0 1 3
Titelthema
mannschaften, bildete Schieds-
richter aus und leitete dort bis zu
seiner Rückkehr nach Deutschland
1946
rund 160 Spiele.
1949
bekam der talentierte Fuß-
ballspieler einen Vertrag beim
Stuttgarter SC (zweithöchste Spiel-
klasse) und machte sich gleichzei-
tig als Schneidermeister selbst-
ständig. Zwei Jahre später war der
Meniskus hin, sodass er seine Spie-
lerkarriere aufgeben musste und
sich wieder der Schiedsrichterei
zuwandte. Schnell stieg Kreitlein in
die Oberliga Süd auf und leitete
1956
seine ersten Spiele um die
Deutsche Meisterschaft. Sein Weg
in die deutsche Spitze und zur FIFA
war vorgezeichnet.
Weltberühmt im Fußball wurde der
tapfere Schneider aus Stuttgart,
als er bei der WM 1966 im Viertelfi-
nale zwischen Gastgeber England
und Argentinien, einem Spiel von
allerhöchster Brisanz, den argenti-
nischen Kapitän Antonio Rattin
vom Platz stellen wollte. Das
gelang ihm aber erst nach sieben
Minuten, denn der Südamerikaner
tat so, als ob er Kreitleins eindeutige
Gesten nicht verstand. Letztlich
wurde Rattin von „Bobbys“, engli-
schen Polizisten also, vom Platz
geführt.
Als Kreitlein nach dem Spiel mit
Ken Aston, einem ehemaligen
englischen FIFA-Schiedsrichter, in
sein Hotel zurückfuhr, unterhielten
sich die beiden natürlich über den
Feldverweis und die Schwierigkeit,
sich dem Spieler gegenüber ver-
ständlich zu machen. Und sie spra-
chen auch über die Ampeln in Lon-
dons Straßen, die ständig „Rot“ zu
sein schienen. Dabei kam den bei-
den Spitzen-Schiedsrichtern eine
Idee, die auch heute noch ihre Aus-
wirkung auf den Fußball hat: Sie
erfanden die Gelben und Roten
Karten analog zu den Zeichen der
Verkehrsampeln. „Gelb“ gleich Ver-
warnung und „Rot“ gleich Feldver-
weis.
Vier Jahre dauerte es von der Idee
bis zur Einführung: Bei der WM
1970
wurde die erste Gelbe Karte
der Fußball-Geschichte gezeigt –
von Kurt Tschenscher, der das
Eröffnungsspiel Mexiko gegen die
UdSSR leitete.
Rudolf Kreitlein, 1988 mit dem
Bundesverdienstkreuz ausgezeich-
net, starb am 31. Juli 2012 im Alter
von 92 Jahren in Stuttgart.
***
Als
Rolf Seekamp
das Spiel Hertha
BSC Berlin gegen den 1. FC Nürn-
berg anpfiff, füllten 60.000
Zuschauer das Berliner Olympia-
stadion, Rekord an diesem ersten
Spieltag der Bundesliga. Bei den
Berlinern spielte ein eisenharter
Verteidiger mit, der später in See-
kamps Heimatstadt Bremen eine
herausragende Rolle im Fußball
spielen sollte. Aber das ahnte an
diesem 24. August 1963 noch nie-
mand, auch nicht Otto Rehhagel,
um den es sich handelte.
Die Nürnberger traten mit dem
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er-Weltmeister Max Morlock an,
der das 1:0 für seinen Club erzielte,
aber auch das Handspiel beging,
in dessen Folge Hans-Günter
Schimmöller per Strafstoß zum
1:1-
Endstand ausglich.
Über die Leistung von Rolf See-
kamp und seinen Linienrichtern
Elmar Schäfer und Karl-Heinz
Mailand findet man in den ein-
schlägigen Quellen
keine Äußerungen,
was man ja immer als
gutes Zeichen werten
darf. Seekamp war
schon seit 1949 Lehr-
wart im Bezirk Bre-
men Nord. Eine
Funktion, die er
sagenhafte 41 Jahre
lang ausübte und
die dann 1990 sein
Sohn Volker über-
nahm.
Der Bezug zum
Fußball aber blieb.
Als Rolf Seekamp vor zwei Jahren
90
Jahre alt wurde, erzählte er
dem Bremer Journalisten Olaf
Schnell, dass er immer noch die
Spiele seines Vereins, des TSV
Lesum-Burgdamm, besuche.
Mit 26 Jahren wurde er 1947
Schiedsrichter und hatte 1953
den Aufstieg in die Oberliga Nord,
die damals höchste Spielklasse,
geschafft. Fast zeitgleich über-
nahm er das Geschäft seines
Vaters (Versicherungs-Vertretun-
gen und Zigarren-Großhandel).
Der Abiturient (1940) spielte
selbst Fußball, gab das aber auf,
als die Schiedsrichter-Karriere in
Schwung kam.
Als letztes Spiel seiner Schieds-
richter-Karriere leitete Seekamp
am 29. Juni 1968 in Bochum das
Finale um die Deutsche Amateur-
Meisterschaft zwischen dem
VfB Remscheid und Wacker Mün-
chen (5:3 n.V.). Dieser Titel wurde
bis 1998 unterhalb des Profifuß-
balls ausgespielt, wobei es auch
für gestandene Bundesliga-
Schiedsrichter durchaus eine
Ehre war, für dieses Finale nomi-
niert zu werden.
Ausriss aus
dem Original-Programmheft
vom 24. August 1963.
Gern blättert Rolf Seekamp
in seinen Fußball-„Schätzen“.
Anfang September 1968 erhielt
Rolf Seekamp dann das offizielle
Dank-Schreiben, das der DFB an
seine Schiedsrichter zu schicken
pflegte. Es hieß darin: „Als kleines
Andenken an Ihre Schiedsrichter-
Tätigkeit im DFB dürfen wir Ihnen
anbei ein Geschenk in Form von
Manschetten-Knöpfen sowie einen
Uller zugehen lassen.“ Uller? Das
war ein Schlüsselanhänger, abge-
leitet von einem runden Talisman,
den man an einer Trachten-Leder-
hose trägt.
Zur offiziellen Verabschiedung
wurde der Bremer im November
eingeladen. Traditionell erfolgte
sie – und erfolgt sie noch heute –
zum nächsten Lehrgang der
Bundesliga-Schiedsrichter. Er
möge sich doch bitte „am Freitag,
dem 6. November 1970, gegen
20
Uhr, zum Kameradschaftsabend
in der Bibliothek der Sportschule
Hennef“ einfinden.
Dort überreichte ihm Obmann Degen-
hard Wolf die DFB-Verdienstnadel.
Rolf Seekamp lebt in Bremen und
wird am 16. September 92 Jahre
alt.
In der nächsten Ausgabe:
Johannes
Malka, Helmut Fritz, Gerhard Schu-
lenburg und Walter Zimmermann –
die anderen vier Schiedsrichter des
ersten Spieltages.