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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 4 / 2 0 1 3
Außenansicht
Der „Pfiff des Jahres“
Die Leitung des Bundesliga-Spiels zwischen Dortmund und Hoffenheim am 18. Mai war für Jochen
Drees nervenaufreibender, als man es sich für ein Jubiläumsspiel im Vorfeld wünscht. Dennoch
machte der 43-Jährige bei seinem 100. Bundesliga-Einsatz alles richtig. Und den aktuellen Kommen-
tar von Florian Grove (SPORT BILD online) wollen wir an dieser Stelle einfach mal so stehen lassen.
W
as war das für eine Szene!
Eine ganze Saison hing von
einer einzigen Entscheidung ab –
und das gleich für zwei Mann-
schaften. Relegation oder runter
in Liga zwei hieß es für Düsseldorf
und Hoffenheim, und das Zünglein
an der Waage, oder eigentlich ja
vielmehr an der Pfeife, war
Schiedsrichter Jochen Drees.
Nachspielzeit in Dortmund, Hoffen-
heim führt 2:1, als BVB-Linksvertei-
diger Marcel Schmelzer per Dis-
tanzschuss trifft. Hoffenheim
stürmt, angeführt von Torwart
Koen Casteels, auf Linienrichter
Benjamin Brand zu. Der Vorwurf:
BVB-Stürmer Robert Lewandowski
soll im Abseits gestanden und im
Ballweg irritierend aktiv eingegrif-
fen haben.
Zählt das Tor, geht Hoffenheim
runter, wenn nicht, trifft es Düssel-
dorf – mehr Druck geht nicht. Doch
das Schiedsrichter-Team entschei-
det fehlerfrei. Dafür gebührt Drees
und Brand ein Sonderlob.
Gegenüber Sky-Mann Ecki Heuser
erklärte Brand, wie die Szene
abgelaufen war. Brand hatte dem-
nach sofort gesehen, dass Lewan-
dowski abseits stand. Die Fahne
hatte er aber unten gelassen, weil
er nicht einschätzen konnte, ob die
Stellung aktiv oder passiv zu
bewerten war.
Als Drees daraufhin auf Tor ent-
schied, machte Brand ihn über
Funk auf die Abseitsstellung von
Lewandowski aufmerksam. Beide
führten ihre Informationen der
Szene zusammen und entschieden
daraufhin, das Tor zurückzuneh-
men. Gleich die erste Zeitlupe zeigte
klipp und klar, wie goldrichtig
diese Entscheidung war.
Gerade vor dem Hintergrund der
permanent und zu Recht geführten
Diskussion um technische Hilfsmit-
tel im Fußball muss man diese Ent-
scheidungsfindung von Drees und
Brand als bemerkenswert gut her-
ausstellen. Oft genug sind die
Schiedsrichter die Leidtragenden,
wenn sie von der x-ten Zeitlupe
der Fehlentscheidung überführt
und prompt für die Spielausgänge
verantwortlich gemacht werden.
Man stelle sich mal vor, was los
wäre, hätte Drees den Treffer
gegeben. Hoffenheim wäre zu
Unrecht abgestiegen, um mögliche
Millionen-Einnahmen im Oberhaus
gebracht worden. Felix Magath hat
immer gemahnt, dass Fehler nicht
sein dürfen, wo es um so viel Geld
und am Ende auch um viele Jobs
geht.
Die Diskussion um technische
Hilfsmittel dürfen wir deshalb
nicht einstellen. Aber es ist einfach
schön, attestieren zu können, dass
es die Hilfsmittel diesmal nicht
gebraucht hat, weil unsere Unpar-
teiischen unter brutalstmöglichem
Druck bestmöglich entschieden
haben.
Assistent Benjamin Brand und Schiedsrichter Jochen Drees
behielten in der Nachspielzeit die Übersicht und trafen die
richtige Entscheidung.
Durch den Schritt zum Ball wurde die Abseitsposition von
Robert Lewandowski strafbar – und der Dortmunder Aus-
gleichstreffer zu Recht aberkannt.
Erfolgreiche Teamleistung:
Der Vierte Offizielle Stefan
Trautmann, Assistent Tobias
Christ, Jochen Drees und
Benjamin Brand (von links)
nach dem Jubiläumsspiel.
Ich hoffe sehr, dass sich Drees und
Brand heute feiern für ihre treff-
sichere Entscheidung – wobei ich
mir auch vorstellen könnte, dass
zumindest einer von beiden in der
Nacht noch mal schweißgebadet
aus dem Traum schreckt, der ihm
suggeriert, man habe anders ent-
schieden...
Für mich war der Tor-Pfiff, den
Drees in Dortmund vor 80.000
Fans zurücknahm und nachträglich
zum Abseitspfiff ummodelte, die
Schiedsrichter-Entscheidung des
Jahres“.