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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 4 / 2 0 1 3
Analyse
der Frankfurter Verhaegs Tor-
schuss, der im nächsten Moment
erfolgt wäre. Damit hat er eine
klare Torchance zunichtegemacht.
Natürlich stimmt auch hier die
Schiedsrichter-Weisheit: Nie sind
zwei Szenen haargenau gleich!
Aber schon durch die absichtlich
fast wortgleiche Beschreibung der
beiden Situationen wird deutlich,
dass sie von den Schiedsrichtern
deckungsgleich geahndet werden
müssten. Schließlich hat auch in
der zweiten Szene der Angreifer
den Ball unter Kontrolle, kein
anderer Verteidiger kann ihn mehr
daran hindern, seine große Möglich-
keit wahrzunehmen und im nächs-
ten Moment ein Tor zu erzielen.
Der Pfiff kam in dieser zweiten
Szene zwar ebenso prompt, aber
es wurde nur der Strafstoß ver-
hängt, die Rote Karte blieb in der
Tasche des Schiedsrichters. Was
mag ihn dazu bewogen haben?
Beim wiederholten Betrachten ein-
zelner Szenen, wie es das Fernse-
hen ja ermöglicht, erscheinen dem
Zuschauer manche (Fehl-)Entschei-
dungen – wie zum Beispiel die
gerade beschriebene – als völlig
unverständlich. Dabei vergessen
die Beteiligten immer wieder, dass
der Schiedsrichter meist nur eine
minimale Zeitspanne hat, um die
„
richtige(n)“ Entscheidung(en) zu
treffen. Zudem hat er fast immer
einen anderen Blickwinkel als die
Kameras, die das Geschehen über-
tragen.
Damit soll die Fehlentscheidung
nicht weggeredet, der interessierte
Betrachter aber doch gebeten wer-
den, beim Urteil über den Schieds-
richter noch andere Aspekte ins
Kalkül zu ziehen als nur die Fern-
seh-Bilder.
Und noch ein Aspekt bei der Ent-
scheidung „Notbremse“ (ja oder
nein?) sei bei dieser Gelegenheit
einmal erläutert: Warum der
Schiedsrichter nicht wenigstens
„
Gelb“ gezogen hat, wird man als
Experte in solchen Situationen oft
gefragt. Ganz einfach: weil das
Vergehen an sich von seiner Inten-
sität kein verwarnungswürdiges
Foul war. Der Gedanke an die Per-
sönliche Strafe kommt in diesem
Fall ja nur deshalb ins Spiel, weil
die Verhinderung oder das Zunich-
temachen einer klaren Torchance
zwingend mit „Rot“ zu bestrafen
ist. Wenn der Schiedsrichter in sei-
ner Wahrnehmung den Tatbestand
„
Notbremse“ nicht feststellt, kann
er in diesem Fall eines eher harm-
losen Fouls gar keine Karte zeigen.
Denn „ein bisschen Notbremse“
gibt’s nicht.
***
Sicher nicht zu Unrecht können
wir davon ausgehen, dass ein Fuß-
ball-Profi sich täglich mit seinem
Beruf befasst. Wie oft er sich
dabei mit dem Regelwerk beschäf-
tigt, möchte man aber gar nicht so
genau wissen. Denn es wird bei
den meisten Berufsfußballern
eher selten sein.
Diese Vermutung liegt jedenfalls
nahe, wenn man immer wieder die
gleiche Art von strafbarem Hand-
spiel sieht, die nicht nur in unse-
ren Analysen beleuchtet wird (es
wäre vielleicht mal interessant zu
wissen, wie viele Profis die
Schiedsrichter-Zeitung lesen).
Nein, auch das Fernsehen weist
immer wieder darauf hin, was
erlaubt ist und was nicht.
Im Spiel
Eintracht Frankfurt
gegen Schalke 04 (30. Spieltag)
steht bei einem Freistoß, den der
Schalker Bastos kurz vor der
Strafraumgrenze ausführen will,
die Frankfurter „Mauer“ im eige-
nen Strafraum. Als Bastos schießt,
springt Stefan Aigner in dieser
„
Mauer“ hoch, dreht dabei den
Körper nach rechts und führt sei-
nen linken Arm nach außen in die
Flugbahn des Balles
(
Foto 3a)
.
Er
wehrt den Ball mit diesem Arm ab.
Auch wenn der Arm angewinkelt
ist, so wird er doch deutlich nach
außen zum Ball geführt. Auf dem
Foto 3b
ist der Frankfurter zwar
durch seinen Vereinskollegen
Stendera fast verdeckt, aber man
kann sehr schön seinen „ohne
Not“ herausgestreckten linken
Arm erkennen, der im nächsten
Moment den Flug des Balles
stoppt.
Schon als Bastos zum Schuss ausholt, dreht sich Stefan Aig-
ner aus der „Mauer“.
Aigner (verdeckt) winkelt den Arm weit vom Körper ab.
Schiedsrichter Günter Perl zeigt den protestierenden Frank-
furtern den Grund für den Strafstoß an.
Hummels grätscht, sein Gegenspieler Reisinger schiebt ihm
den Ball durch die Beine.
Foto 3a
Foto 3b
Foto 3c
Foto 4a