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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 3 / 2 0 1 3
Titelthema
eine Rolle spielten, diskutieren wir
heute über Entscheidungen, bei
denen sich einzelne Körperteile im
Abseits befinden oder auch nicht.“
Bei solchen Szenen müsse man
schauen, dass die Verhältnismä-
ßigkeit gewahrt werde, unter-
streicht Werthmann. Jeder Assis-
tent werde ehrlich zugeben müs-
sen, dass immer auch ein bisschen
Glück dazugehöre. „Ich habe auf
meinem Tribünenplatz die Möglich-
keit, mir die Szene noch einmal in
Zeitlupe anzusehen, das sind
natürlich ganz andere Bedingun-
gen als für das Schiedsrichter-
Team unten auf dem Rasen.“
Hier sei es wichtig, betont Rainer,
zu versuchen, ehrlich zu sein und
auseinanderzuhalten, was mir
wirklich live beim Spiel aufgefallen
ist und was ich danach in der Zeit-
lupe gesehen habe.“ An letzterem
könne man den Schiedsrichter
nicht messen. „Natürlich gibt es
auch teilweise Entscheidungen, bei
denen ich sage, dass ich sie mit-
trage, obwohl ich selbst anders
entschieden hätte.“
15.25
Uhr:
Der Schiedsrichter-
Beobachter schaut auf seine Uhr:
Gleich ist Anpfiff, wir müssen los.“
Während wir auf der Pressetribüne
Platz genommen haben, betreten
die Unparteiischen den Rasen, an
der Hand den Fußball-Nachwuchs.
Rainer Werthmann richtet sich auf,
sein Blick ist ab jetzt fest auf das
Spielfeld gerichtet. Seit der
Schiedsrichter und seine Assisten-
ten auf dem Rasen sind, signali-
siert die Körperhaltung des Beob-
achters höchste Konzentration.
Vor ihm liegt ein leerer Bogen,
vorbereitet für die Spiel-Notizen.
In einer Zeile ganz oben ist Platz
für die Fouls, weiter unten finden
sich die Kommentare zu den bei-
den Schiedsrichter-Assistenten.
Der ganze Mittelteil ist frei für
Anmerkungen zu den Schiedsrich-
ter-Entscheidungen.
15.30
Uhr:
Anpfiff. Die Gesänge
der Fans erschallen im Stadion.
Der Blick des Schiedsrichter-Beob-
achters weicht nicht vom Rasen
und verfolgt gebannt das Gesche-
hen. Kaum fällt Bastian Dankert
seine erste wichtige Entscheidung,
lehnt sich sein Coach vor und
schaut sich auf den Bildschirmen
eine Reihe vor ihm die Szene noch
einmal in Zeitlupe an. Dann schreibt
er die erste Notiz auf seinen Bogen.
In sauberer, ordentlicher Schrift
notiert er seine Gedanken zu der
Szene.
Während des Spiels wird die Situa-
tion deutlich, die Rainer vorher
angedeutet hatte: Nach jedem
Pfiff richtet sich sein Blick auto-
matisch auf die Bildschirme vor
ihm. Er betrachtet die Szene
zunächst zeitversetzt und dann
noch einmal in der Wiederholung.
Während Rainer seine Notizen ver-
fasst, geht es auf dem Rasen in
Sekundenschnelle weiter. Bastian
hat keine Zeit, lange nachzuden-
ken, ruckzuck muss er seine
Konzentration auf die nächste
Situation fokussieren. Das Blatt
seines Beobachters füllt sich
schnell. Zu jeder Szene ist die
Zeitangabe auf dem Monitor
notiert: „So können wir die Szene
nachher in der Besprechung
schneller wiederfinden und gezielt
unter die Lupe nehmen.“
Schriftlich festgehalten hat Rainer
Situationen, die Bastian gut ent-
schieden hat. Kommentare wie
hart, aber fair“ zieren den Rand,
aber auch Situationen, die kritik-
würdig sind. „Darüber müssen wir
nachher reden“, sagt der Beob-
achter. In diesem Moment beendet
Bastian Dankert unten auf dem
Rasen mit einem lauten Pfiff die
erste Halbzeit, Spielstand: 0:0.
16.16
Uhr:
Während die Fans zu
den Toiletten oder Bierständen
strömen, erläutert uns Rainer
seine Sicht auf die erste Halbzeit:
Als Schiedsrichter ist es wichtig,
eine klare Linie zu fahren. Für die
Spieler sollte es berechenbar sein,
in welchen Situationen er das Spiel
unterbricht.“
Bastian habe zu Beginn sehr groß-
zügig gepfiffen, sei aber in der
letzten Szene eher kleinlich gewe-
sen. „Diese Situation werde ich
sicher mit ihm besprechen“, meint
der Beobachter ruhig. Er zeigt den
Kommentar „nicht zu viel laufen
lassen“ auf seinem Block.
Mit der Gesamtleistung seines
Schützlings ist er bis hierhin aber
zufrieden: „Als Schiedsrichter
muss man stets die Kommunika-
Während einer Verletzungsunterbrechung sieht der Schieds-
richter-Beobachter auf den TV-Monitoren die Wiederholung
des vorangegangenen Zweikampfs.
Ich war früher für die Beobachter auch nicht immer einfach“,
gesteht Rainer Werthmann im Gespräch mit SRZ-Mitarbeite-
rin Bianca Riedl.
Vielfarbig hält der Coach die wichtigsten Szenen für die Nach-
besprechung fest.