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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 3 / 2 0 1 3
weniger die Meinung der Medien, auch nicht die der
nnte „Schiedsrichter-Coach“ analysiert die Leistung
Werthmann zu einem Bundesliga-Spiel „auf
beobachten
Beteiligten in die Hand gedrückt.
Sofort fangen die Assistenten und
der Schiedsrichter an, die Aufstel-
lungen beider Mannschaften zu
diskutieren. Jetzt ist es noch eine
Stunde bis zum Spielbeginn, eine
halbe Stunde vor Anpfiff werden
die Schiedsrichter zum Warmlau-
fen gehen.
Ein letztes Mal wendet sich der
Beobachter an das Team und ver-
kündet lächelnd, dass er ja viel-
leicht gar nichts zu arbeiten habe.
Vorausgesetzt, Bastian und seine
Helfer machen alles richtig.
Lachen schallt durch den Raum,
und nach einem letzten Hand-
schlag für jeden verlässt Rainer
die Kabine.
Er wird wieder ernst: „Etwa eine
Stunde vor Spielbeginn beginnt
die Konzentrationsphase. Sie dient
der mentalen Vorbereitung, und in
dieser Zeit sollte man das Team
möglichst alleine lassen.“ Jeder
bereite sich unterschiedlich auf
das Spiel vor. Es gebe Schiedsrich-
ter, die – ähnlich wie ein Tour-de-
France-Fahrer alle Etappen-
Schwierigkeiten im Kopf durch-
geht – sich mit möglichen Situa-
tionen im Spiel befassen. Es gebe
andere, die eine Art Tunnelblick
entwickeln.
Er selbst, erzählt Rainer Werth-
mann, habe es gerne gehabt,
wenn bis kurz vor Spielbeginn
noch Witze erzählt wurden. Mit
dem Anpfiff waren dann auf einen
Schlag die Ernsthaftigkeit und
Konzentration im Team da. Auch in
seiner jetzigen Rolle sei es ihm
wichtig, die Situation zu entspan-
nen: „Die stehen alle schon derart
stark unter Druck. Als Beobachter
zusätzlichen Druck aufzubauen,
ist da das Verkehrteste, was man
machen kann.“
Während wir uns durch die gut
gefüllte VIP-Lounge unseren Weg
bahnen (Schiedsrichter-Coaches
haben zu allen Stadion-Bereichen
Zutritt), erzählt Rainer seinen Wer-
degang. Mit 15 sei er Schiedsrich-
ter geworden, dank der Überre-
dungskünste seines Vaters. Einmal
Schiedsrichter, habe es ihm immer
mehr Spaß gemacht, und er habe
schnell erkannt: „Hier kannst du
viel mehr erreichen, als wenn du
aktiver Spieler bleibst.“
Eine richtige Erkenntnis, schließ-
lich schaffte er es bis in die
Bundesliga. Mit 47 Jahren, der
Altersgrenze für Top-Schiedsrich-
ter, habe er sich dann entschie-
den, als Lehrwart junge Schieds-
richter weiterzubilden. Das ist
auch kein Wunder, denn Rainer
Werthmann ist auch im „richtigen
Leben“ Lehrer. Seit fast sechs Jah-
ren gehört er dem Verbands-
Schiedsrichter-Ausschuss Westfa-
len an und ist seit zwei Jahren
Coach.
14.45
Uhr:
Wir haben noch Zeit für
ein Getränk. Es gehe ihm bei die-
ser Aufgabe nicht darum, alles
perfekt zu machen. Das könne
man gar nicht, weil es so viele
verschiedene Herangehensweisen
gebe. Ziel sei es vielmehr, dass
möglichst jeder seiner Schützlinge
aus seinen Anmerkungen etwas
mitnehmen könne.
Auf die Frage, ob es auch Schieds-
richter gebe, die seine Kritik nicht
annehmen, schmunzelt Rainer:
Mit mir war es früher auch nicht
immer einfach, denn ich wollte die
Hinweise von erfahrenen Beob-
achtern manchmal auch nicht
wahrhaben.“
Deswegen habe er für solche
Reaktionen Verständnis. Er versu-
che stets, den Schiedsrichtern das
Gefühl zu geben, dass er nicht auf
Gegenkurs sei, sondern dass das
Aufzeigen einer anderen Perspek-
tive durchaus hilfreich sein kann.
Ich interessiere mich immer für
die Sichtweise des Schiedsrich-
ters.“ Deshalb frage er ihn auch zu
Beginn der Besprechung, was er in
dieser oder jener Situation mit
den Spielern kommuniziert habe.
So versuche er, sich ein genaueres
Bild von der Situation auf dem
Rasen zu machen.
Die große Mehrheit der Schieds-
richter ist sehr selbstkritisch und
offen für fachliche Hinweise“,
betont Rainer. „Manche haben
sogar eine so überzeugende
Eigeneinschätzung, dass ich schon
die Mappe zugeklappt und gesagt
habe: perfekt!“ Generell komme er
mit allen Aktiven gut klar: „Ich
versuche stets deutlich zu
machen, dass ich kein Erbsenzäh-
ler bin, sondern jemand, der sie
bei ihrer weiteren Entwicklung
unterstützt. Nur das ist entschei-
dend. Zu Hause muss sich dann
jeder selbst überlegen, ob er
etwas mit meinen Tipps anfangen
kann.“
Auf die Frage, wie groß denn bei
der Beurteilung strittiger Szenen
der Ermessensbereich sei, wird
der Schiedsrichter-Beobachter
ernst: „Die Arbeit hat sich stark
verändert durch die Medien und
die fast perfekte Fernseh-Technik.
Während früher bei einer Abseits-
Entscheidung zwei, drei Meter
aber die ernsthafte Einstimmung auf das Spiel bestimmt
weitgehend die Vorbereitung.
Eine wichtige Facette der Schiedsrichter-Leistung ist die
Ansprache der Spieler: Bastian Dankert hier mit Jermaine
Jones.