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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 3 / 2 0 1 3
Analyse
dabei in der Diskussion über die
Auslegung viel zu kurz kommt, ist
die Tatsache, dass die weit überwie-
gende Zahl derartiger Situationen
von den Schiedsrichtern völlig rich-
tig erkannt und eingeordnet wurde.
Dennoch ergeben sich gerade beim
Handspiel immer wieder Ausle-
gungsfragen, die wir in unserer
Analyse beantworten wollen.
Grundsätzlich – und das haben wir
schon oft an dieser Stelle betont –
geht es bei der Feststellung, ob ein
Handspiel mit einem direkten Frei-
stoß beziehungsweise Strafstoß
geahndet werden muss, um die
Absicht des Spielers, den Ball mit
der Hand zu berühren. Bewegt er
seine Hand in die Flugbahn des Bal-
les und hält ihn so auf oder fälscht
ihn ab, ist die Sache klar. Die
Absicht liegt sozusagen auf der
Hand, jeder kann sie erkennen.
Umgekehrt wird auch ein Schuh
draus. Fliegt der Ball gegen den
normal gehaltenen Arm, was meist
auch noch aus kurzer Entfernung
geschieht, liegt keine Absicht vor;
also muss der Schiedsrichter auch
nicht eingreifen. Keine Pflicht, aber
hilfreich ist in solchen Momenten
der Zuruf „weiterspielen“. Denn er
signalisiert den Akteuren, dass der
Schiedsrichter das Handspiel gese-
hen, es aber nicht als strafbar ein-
gestuft hat.
Was aber ist ein „normal gehaltener
Arm“? Zunächst sicherlich der
neben dem Körper ruhig herabhän-
gende Arm, aber auch die während
des Gehens leicht schwingenden
Arme. Letzteres auf den Fußball und
die ja sehr häufige Laufbewegung
übertragen, bedeutet, dass ein
wegen des Laufens angewinkelter
Arm den Ball unabsichtlich aufhält:
„
Angeschossen“ war früher und ist
wohl auch heute noch der beste
Ausdruck dafür.
Nun haben sich vor allem Profi-Fuß-
baller Praktiken angewöhnt, die so
wirken sollen, als läge keine Absicht
vor. Sie breiten ihre Arme in Situa-
tionen aus, in denen sie auf diese
Weise angeblich ihr Gleichgewicht
halten müssen. Dabei geschieht
dies lediglich in der Absicht (!), den
Ball mit der so verbreiterten Kör-
perfläche aufzuhalten. Das ist zum
Beispiel der Fall, wenn ein Spieler
sich im Sprung in den Schuss des
Gegners dreht und dabei einen oder
beide Arme ausfährt. Die normale
Haltung der Arme wäre bei einem
solchen Sprung aber nahe am Kör-
per (siehe Schiedsrichter-Zeitung
Nr. 2/2013, Seite 23, Foto 4 und Text
Hannover 96 – SC Freiburg).
Diese „Tricks“ der Spieler machen
es den Schiedsrichtern immer
schwerer, die „Absicht“ zu erken-
nen und entsprechend zu ahnden.
Denn es gibt im Fußball natürlich
auch Bewegungsabläufe, bei denen
das Ausstrecken der Arme tatsäch-
lich dazu dient, die Balance zu hal-
ten. Sie sind eben fußballspezifisch
und die Haltung des Arms oder der
Arme, die sich dabei ergibt, ganz
„
normal“, gern auch „natürlich“
genannt.
Ein gutes Beispiel dafür war am
23.
Spieltag
im Spiel
FSV Mainz 05
gegen den VfL Wolfsburg
zu
sehen: Eine weite Flanke fliegt von
links in den Wolfsburger Straf-
raum. Der Ball prallt zentral vor
dem Tor in Höhe der Torraumlinie
auf und springt weiter nach rechts.
Als der Mainzer Pospech knapp
außerhalb des Torraums an den
Ball kommt, springt der Wolfsbur-
ger Vierinha mit ausgestrecktem
rechten Bein in die Schussbahn
(
Foto 2a)
.
Um diese Bewegung
kontrollieren zu können, streckt
der Wolfsburger beide Arme als
„
Stabilisatoren“ vom Körper weg.
Als sein linker Arm zum Körper
zurückschwingt, wird er vom Ball
getroffen
(
Foto 2b)
.
Schiedsrichter Peter Sippel ließ
das Spiel weiterlaufen, und er
hatte Recht damit. Zwar hat
Pospech hier seine Körperfläche
„
vergrößert“, aber dies geschieht
aus einem natürlichen Bewegungs-
ablauf heraus und nicht mit der
Absicht, den Ball aufzuhalten.
Noch deutlicher wurde die fehlende
Absicht, den Ball mit der Hand zu
spielen, in einer Szene des Spiels
1.
FC Nürnberg gegen den SC Frei-
burg am 24. Spieltag.
Foto 2a
Foto 2b
Foto 3
Foto 4a
Der Mainzer Pospech (rechts am Bildrand) spielt den Ball zur
Mitte,…
…
der dem Wolfsburger Vierinha gegen den linken Arm fliegt.
Rosenthal (Bildmitte) köpft den Ball gegen den Arm von Makiadi.
Esswein holt zum Schuss aus, während Kvist (Nr. 4) mit aus-
gestrecktem Arm in die Flugbahn springt.
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