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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 3 / 2 0 1 3
Lehrwesen
Was man unter dem Begriff „Vorteil“ versteht, weiß sicher jeder Schiedsrichter. Worauf es aber
bei der Anwendung konkret ankommt, erklärt Günther Thielking. Er stellt den Inhalt des aktuellen
DFB-Lehrbriefs Nr. 48 vor.
Vorteil – eine subjektive Frage
W
er den internationalen Fußball
in der Vergangenheit regelmä-
ßig verfolgt hat, erinnert sich
bestimmt gut an das Champions-
League-Finale im Jahr 2006: Jens
Lehmann stand damals im Trikot
von Arsenal London dem FC Barce-
lona gegenüber. Als Stürmer
Samuel Eto’o allein auf Lehmann
zulief, holte der deutsche Torhüter
den Angreifer direkt vor der Straf-
raumgrenze von den Beinen.
Der norwegische Unparteiische
Terje Hauge pfiff die Attacke des
deutschen Schlussmanns sofort
ab, wertete sie als „Verhinderung
einer klaren Torchance“ und zeigte
dem Keeper die Rote Karte. Was
Hauge nicht erkannt hatte: Der
mitgelaufene Ludovic Giuly vom
spanischen Meister konnte das
Leder unmittelbar nach dem Foul
ins Tor schießen.
Wenn der Referee nur Sekunden-
bruchteile mit seinem Pfiff gewar-
tet und stattdessen auf Vorteil
erkannt hätte, dann wäre dies das
1:0
für den FC Barcelona gewesen –
und Jens Lehmann hätte lediglich
„
Gelb“ gesehen.
Die Begriffe „hätte“, „wäre“ und
„
wenn“ bei der Beurteilung von
Vorteil-Situationen lassen erken-
nen, dass es im amtlichen Regel-
text keine konkrete Definition zum
Begriff „Vorteil“ gibt. So findet
sich auch kein eindeutiger Hin-
weis, woran ein solcher Spielvor-
teil zweifelsfrei zu erkennen ist.
Von regeltechnischer Bedeutung
für die Bewertung eines Verge-
hens und die daraus erwachsende
Konsequenz ist für den Schieds-
richter, dass er immer dann das
ursprüngliche Vergehen zu bestra-
fen hat, wenn der Vorteil nicht
direkt nach dem Foul eintritt. Die
Als Jens Lehmann im Finale der Champions League 2006 Samuel Eto’o von den Beinen holt,...
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unterbricht Schiedsrichter Terje Hauge das Spiel, ohne den „Vorteil“ abzuwarten, und zeigt
dem deutschen Torhüter dann die Rote Karte.