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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 2 / 2 0 1 3
mels in den Schuss – mit dem
rechten Fuß voran und erhobenem
rechten Arm (Herausforderung 3:
Der Schiedsrichter muss auf eine
Handspielbewertung vorbereitet
sein. Er hat freien Blick auf Hum-
mels und kann dann erkennen,
dass der Spieler den Ball nicht
berührt).
Foto 4:
Hinter Hummels läuft Mar-
cel Schmelzer rund einen Meter
vor der Torlinie in die Schusslinie
des Balls und versucht diesen
abzuwehren. Dabei wird das rechte
Bein etwas abgewinkelt hochgezo-
gen und der rechte Arm parallel
zum Oberschenkel gehalten. Alles
deutet auf eine Bewegung zum Ball
hin, mit dem Ziel diesen aufzuhal-
ten (Herausforderung 4: Der
Schiedsrichter muss Sekunden-
bruchteile nach der ersten auf
eine zweite Handspielbewertung
vorbereitet sein).
Foto 5:
Allerdings ist seine Posi-
tion jetzt nicht mehr optimal, denn
er bewegt sich so in die Situation
hinein, dass ihm Dortmunds Nr. 26
(
Lukas Piszczek) in dem Moment,
als der Kontakt von Schmelzer mit
dem Ball erfolgt, die Sicht nimmt.
Vom Schiedsrichter ist auf dem
Foto unten am Bildrand lediglich
der Kopf zu erkennen. Unmittelbar
vor dieser Sichtstörung sieht er
wohl noch für einen kurzen
Moment Schmelzers seitlich vom
Körper weggehaltenen Arm.
Foto 6:
Danach kann der Schieds-
richter – wie beschrieben – nicht
mehr frei und ohne Störung die
Situation einsehen, als der Ball
gegen Schmelzers Oberschenkel
prallt – lediglich einige Zentimeter
von der rechten Hand entfernt,
was die Beurteilung noch weiter
erschwert. (Nur mal angenommen,
der Ball wäre wirklich gegen die
Hand geflogen: Mancher Kommen-
tator hätte Lobeshymnen auf die
„
Adleraugen“ des Schiedsrichters
gesungen.)
Unmittelbar nach dem Kontakt rei-
ßen drei Wolfsburger Spieler, die
sich alle im Blickfeld des Schieds-
richters befinden, gleichzeitig die
Arme hoch und reklamieren Hand-
spiel. Dieser vehemente Protest
darf natürlich kein Bewertungskri-
terium sein, denn der Versuch, sich
irgendwie einen Vorteil zu ver-
schaffen, ist heute ja nichts Unge-
wöhnliches mehr.
Liest man nun nur diese Beschrei-
bung der Szene bis hierher einmal
halblaut vor sich hin, braucht man
dafür etwa 100 Sekunden. In der
Wirklichkeit des Spiels vergehen
von Diegos Lupfer bis zu Schmel-
zers Ballberührung lediglich 3,1
Sekunden. Eine minimale Zeitspan-
ne, in der sich der Schiedsrichter
mindestens vier Herausforderun-
gen gegenübersieht, die alle
„
bearbeitet“ werden müssen.
Was kann man nun aus dieser
Szene, die für so viel Furore sorg-
te, für Erkenntnisse gewinnen?
1.
Behutsam und höchst flexibel
mit der eigenen Positionierung
zu den Spielvorgängen im Straf-
raum umgehen (immer die freie
Sicht suchen).
2.
Natürlich ist es wichtig, die
Bewegungsabläufe genau zu
beobachten, denn sie helfen
auch, Situationen insgesamt
einzuschätzen. Aber am Ende
muss dann dazu auch eine klar
wahrgenommene „Tat“ (Hand-
spiel oder Foulspiel) kommen.
Erst das ist die zuverlässige
Grundlage für eine Entschei-
dung.
3.
Wenn aus Indizien in den Gedan-
ken zu schnell eine Realität kons-
truiert wird, kann rasch ein
Wahrnehmungsfehler entstehen.
Das ist zwar durchaus mensch-
lich, führt aber möglicherweise
zu gravierenden Eingriffen ins
Spiel, die dann auch falsch sein
können. Das muss vermieden
werden.
4.
So wie dem Torwart eventuell
der Ball durch die Beine rut-
schen kann und dann zu seiner
Erleichterung doch nur gegen
den Pfosten trudelt, braucht
auch der Schiedsrichter mal das
Glück des Tüchtigen. An diesem
Tag hatte Wolfgang Stark es lei-
der nicht.
■
Als Dost schießt, hat der Schiedsrichter eine gute Sicht auf
den springenden Hummels.
Gut erkennbar ist hier, dass Marcel Schmelzer mit dem rech-
ten Arm seinen Körper „verbreitert“.
Unmittelbar neben der rechten Hand prallt der Ball gegen den
Oberschenkel.
Foto 3
Foto 4
Foto 5
Foto 6
Im entscheidenden Moment hat Wolfgang Stark (Kopf unten
am Bildrand) keine störungsfreie Sicht auf den Ball.