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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 2 / 2 0 1 3
Keine Wahl: Schiedsrichter Gagelmann muss Josue für diesen
Tritt vom Platz stellen.
Die Situation, als de Bruyne (Zweiter Bremer von links) auf
das Nürnberger Tor schießt.
Wäre dies der Moment der Ballabgabe und nicht der Ballan-
nahme, läge wirklich eine deutliche Abseitsstellung vor.
eindeutig strafbare Abseitsstellung.
Jetzt – annähernd fünf Sekunden
nach dem Handspiel – kommt aller-
dings kein Abseits-, sondern der
Strafstoß-Pfiff.
Zu diesem Zeitpunkt ist in dieser
Szene – so wie sie abgelaufen ist –
aber die Möglichkeit des verzöger-
ten Pfiffs mehr als ausgereizt. Der
soll ja nur eingesetzt werden, wenn
zunächst unklar ist, ob die Mann-
schaft, gegen die ein Vergehen
begangen wurde, am Ball bleibt oder
nicht. In der vorliegenden Szene hat
der Schiedsrichter dem Angreifer
den Vorteil bereits eingeräumt. Dass
Müller ihn nicht zu einem Treffer, ja
noch nicht mal zu einem gefähr-
lichen Torschuss nutzen konnte, darf
der Schiedsrichter nicht dadurch
wettmachen, dass er nun doch das
Vergehen pfeift.
Grundsätzlich ist es immer äußerst
fraglich, im Strafraum auf Vorteil
statt auf Strafstoß zu entscheiden.
Nur wenn praktisch zweifelsfrei zu
erkennen ist, dass im nächsten
Moment ein Tor erzielt wird, kann
der Pfiff unterbleiben. Ansonsten ist
der Strafstoß immer der größere
„
Vorteil“.
Und noch eine Randszene aus die-
sem Spiel: Weil ein Ball Luft verloren
hat, gibt es als Spielfortsetzung
einen Schiedsrichter-Ball an der Sei-
tenlinie. Der Schiedsrichter spricht
noch mit einem Spieler der Bayern,
was Franck Ribéry wohl zu lange
dauert. Er nimmt dem Unparteii-
schen den Ball aus der Hand und
macht sich selbst an die Ausführung
des Schiedsrichter-Balls
(
Foto 7)
.
Wie es im Regelbuch steht, bringt
der Münchner den Ball ins Spiel,
indem er ihn aus Brusthöhe fallen
lässt und erst spielt, nachdem er den
Boden berührt hat – der Schiedsrich-
ter lässt ihn gewähren. Vielleicht,
weil Ribéry unmittelbar den Ball zu
den Augsburgern spielt, die vorher
im Ballbesitz gewesen sind.
Das hätte aber zurückgepfiffen wer-
den müssen, auch wenn Ribérys Ein-
griff sicher originell aussah. Ein
Schiedsrichter-Ball darf, wie die
Bezeichnung es schon verrät, nur
vom Schiedsrichter ausgeführt wer-
den. Wenn aus dieser Situation eine
spielentscheidende Szene entstan-
den wäre, hätte wegen dieses Regel-
verstoßes ein Protest gegen die Spiel-
wertung erfolgreich sein können.
17.
SPIELTAG
■
VfL Wolfsburg –
Eintracht Frankfurt
In der 16. Minute tritt der Wolfsbur-
ger Josue beim Spielstand von 0:1
seinem Gegenspieler Occean mit
gestrecktem Bein in den Unterleib.
Schiedsrichter Peter Gagelmann hat
freie Sicht auf die Szene
(
Foto 8)
und stellt den Wolfsburger umge-
hend und zu Recht vom Platz. Nie-
mand wird Josue unterstellen, dass
er nicht den Ball spielen wollte,
andererseits ist die Behauptung, er
habe seinen Gegenspieler nicht
gesehen, wenig stichhaltig, wenn
man sich die TV-Bilder genau
anschaut.
Aber selbst wenn: Geht ein Spieler
mit einem so hohen Risiko und einer
derart gesundheitsgefährdenden
Spielweise zu Werke, kann er nicht
erwarten, dass der Schiedsrichter
sozusagen das Risiko für diese Spiel-
weise übernimmt und nach Ent-
schuldigungen für den Spieler sucht.
Hier kann es nur eine Persönliche
Strafe geben – nämlich „Rot“.
■
Werder Bremen –
1.
FC Nürnberg
Es steht 1:0 für die Gäste, als in der
88.
Minute der Bremer de Bruyne
aus rund 20 Metern und zentraler
Position aufs Tor schießt. In Höhe
des Elfmeterpunkts steht sein Kollege
Nils Petersen, bedrängt von einem
Nürnberger Abwehrspieler
(
Foto 9a)
.
Der Ball prallt von Petersens Fuß
zum 1:1-Ausgleich ins Tor. Aber stand
er bei de Bruynes Schuss nicht im
Abseits? Die Fahne von Assistent
Markus Häcker bleibt jedenfalls
unten. Wenn man von der virtuellen
Linie ausgeht, kann man meinen,
dass Petersen mit einem Fuß und
einem Teil des Oberkörpers im
Abseits ist. Allerdings sieht man die
Füße des Nürnberger Spielers nicht
genau, sodass schon Zweifel beste-
hen. Man hätte sich zwar über einen
Abseitspfiff nicht beschweren kön-
nen, legt man aber die Maßgabe „im
Zweifelsfall für den Angreifer“
zugrunde, so lässt sich die Entschei-
dung von Markus Häcker durchaus
nachvollziehen.
Warum aber haben sich einige der
Beteiligten unmittelbar in der Situa-
tion und auch direkt danach, als das
Spiel zu Ende war, so vehement auf-
geregt, wo die Situation doch so
knapp war, wie gerade beschrieben?
Werfen wir dazu einen Blick auf das
Foto 9b
.
Die „Protestierer“ hatten
noch keine Zeitlupe und kein Stand-
bild gesehen, sondern in etwa dieses
Bild im Kopf. Denn es ist nun einmal
so, dass man seine „persönliche“
Abseits-Entscheidung – vor allem in
unübersichtlichen Situationen –
immer erst trifft, wenn es zu spät ist;
also nicht wie ein Schiedsrichter-
Assistent imMoment der Ballabgabe,
sondern erst, wenn der Ball den
(
vermeintlich) im Abseits stehenden
Spieler erreicht, so wie es das Foto
zeigt.
Ohne jemandem zu nahe treten zu
wollen, darf man hier vielleicht von
der „Schrecksekunde der Laien“
sprechen. Die Fachleute, nämlich die
Schiedsrichter-Assistenten, haben
eine entsprechende Ausbildung und
schauen deshalb anders hin. Das
macht sie nicht völlig fehlerfrei.
Aber sie haben – auch aufgrund
ihrer insgesamt hervorragenden
Leistungen in der Hinrunde – das
Vertrauen und den Respekt von
Spielern, Trainern und Vereinsfunk-
tionären verdient.
Foto 9a
Foto 9b
Foto 8