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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 2 / 2 0 1 3
chance zunichtegemacht wurde
oder nicht, die Anordnung der Spie-
ler bei Beginn der Regelwidrigkeit
(
hier also des Festhaltens) „fotogra-
fieren“ müssen. Wenn er mit diesem
„
Foto“ im Kopf einen Moment abwar-
tet, ob sich der Angreifer durchset-
zen kann oder nicht, kann er auch
die richtige Persönliche Strafe wäh-
len – nämlich „Rot“.
Denn zu dem Zeitpunkt, als das Foul
beginnt und den das Foto 1a festhält,
hat Matmour den Weg zum Tor frei
vor sich, und keiner der beiden
rechts und links laufenden Verteidi-
ger könnte noch eingreifen. Erst
dadurch, dass wegen des verbote-
nen Haltens sein Lauf verlangsamt
wird, der Spieler ins Straucheln
gerät und letztendlich zu Boden
geht, entsteht der Eindruck, als ob
zumindest der linke Abwehrspieler
noch hätte eingreifen können.
Zugegeben: Das ist eine komplexe
Anforderung an den Schiedsrichter,
aber sie entspricht dem Sinn und
Geist des Regelwerks, nämlich das
Offensivspiel zu fördern und den
„
Sünder“ nicht mit einer zu geringen
Strafe davonkommen zu lassen.
■
Werder Bremen –
Fortuna Düsseldorf
Beim Stand von 0:1 spielt der Bremer
Arnautovic in der Nähe des Düssel-
dorfer Strafraums einen Kurzpass zu
einem Mannschaftskollegen und bie-
tet sich sofort zum Doppelpass an.
Andreas Lambertz läuft dazwischen
und schlägt den Ball mit links weg,
der Bremer kommt mit seinem lin-
ken Fuß zu spät.
Statt diesen verlorenen Zweikampf
zu akzeptieren, zieht Arnautovic mit
dem rechten Bein durch und tritt
Lambertz von hinten wuchtig gegen
die rechte Wade
(
Foto 2)
.
Der Düs-
seldorfer stürzt zu Boden. Obwohl
der Ball schon fast an der Mittellinie
ist, registriert der Schiedsrichter
den Vorfall, unterbricht das Spiel
und verhängt einen direkten Frei-
stoß für Düsseldorf. Die Persönliche
Strafe aber unterbleibt, es gibt ledig-
lich eine ernsthafte Ermahnung für
Arnautovic.
Dabei wäre für dieses grobe Foul-
spiel „Rot“ die richtige Konsequenz
gewesen. Möglicherweise hat der
Schiedsrichter beim Verfolgen des
Balles die Szene nur noch aus dem
Augenwinkel gesehen und war sich
zwar klar, dass hier ein Foul vorlag,
konnte aber die Heftigkeit nicht rich-
tig einschätzen.
Offensichtlich hat sein Assistent, der
eigentlich eine gute Sicht auf die
Szene gehabt hätte, ihm auch nicht
helfen können, weil er ebenfalls den
Flug des Balles verfolgt hat. Das ist
allerdings verschenkte Zeit, denn ein
Ball in der Luft kann keinen Schaden
anrichten. Wichtiger ist es, im
Anschluss an konfliktträchtige Zwei-
kämpfe mit den Augen noch einen
Augenblick „draufzubleiben“.
In welchen Situationen und bei wel-
chen Spielern das besonders ange-
bracht ist, ist nicht nur eine Frage
der Absprache zwischen dem
Schiedsrichter und seinen Assisten-
ten vor dem Spiel und in der Halb-
zeitpause. Es hat auch etwas damit
zu tun, ob man als Mitglied des
Schiedsrichter-Teams ein Spiel
„
lesen“ kann. Wenn nichts läuft im
Heimspiel des klaren Favoriten
gegen den Aufsteiger, der dann auch
noch dank eines leichtfertig ver-
schuldeten Strafstoßes 1:0 in Füh-
rung geht; und wenn der eigentlich
fußballerisch begnadete Stürmer
schon wieder mal sauer ist, weil er
seiner Meinung nach zu spät ange-
spielt wird und deshalb mehrfach im
Abseits steht – dann muss man die-
sen „Kandidaten“ besonders im Blick
haben. Auch wenn oder gerade weil
erst eine Viertelstunde gespielt ist.
■
1.
FC Nürnberg –
FC Bayern München
76.
Minute: Einen hoch aus dem
Nürnberger Strafraum geschlagenen
Ball erwartet Bastian Schweinsteiger
in der Nähe des Mittelkreises. Er
schaut nach oben, während sich ihm
von rechts der Nürnberger Gebhart
nähert. Auch der blickt nach oben,
schlägt dann aber mit dem leicht
angewinkelten linken Arm dem Bay-
ern-Spieler ins Gesicht
(
Foto 3)
.
Schiedsrichter Manuel Gräfe macht
das einzig Richtige – er stellt Geb-
hart vom Platz. Allerdings tut er
das „nur“ mit „Gelb/Rot“, denn der
Nürnberger war bereits verwarnt.
Der Ball ist schon weg, als Marko Arnautovic dem Düsseldor-
fer Lambertz in die Beine tritt.
Der Nürnberger Timo Gebhart trifft mit einem Schlag des
angewinkelten Arms Bastian Schweinsteiger.
Mit dem ausgestreckten Arm verursacht der Freiburger
Abwehrspieler ein absichtliches Handspiel.
Nach Ansicht des Schiedsrichters ist
die Tat Gebharts wohl mehr ein hef-
tiges Schieben als ein Schlagen,
zumal er auch frontal auf das
Geschehen schaut und in diesem
Moment nicht die Seiteneinsicht hat,
die unser Foto zeigt.
Zudem hat der Schiedsrichter ja
auch nur eine einzige Chance, sich
ein Bild zu machen, während wir mit
mehreren Blicken auf die Szene fest-
stellen können, dass glatt „Rot“
angebracht war. Denn nachdem Geb-
hart zunächst nach oben zum Ball
schaut, misst er mit einem kurzen
Blick auf Schweinsteiger sozusagen
den Abstand. Dann blickt er wieder
nach oben und trifft mit einer seit-
lichen, auf den Gegner gerichteten
Schlagbewegung dennoch „punktge-
nau“ die rechte Wange des Bayern-
Spielers. Da er dabei nicht hoch-
springt, dient das Anwinkeln des
Armes nicht zur Stabilisierung, son-
dern zur Attacke.
Gebhart ist zwar aus diesem Spiel
ausgeschlossen und wegen der
Gelb/Roten Karte für das nächste
Punktspiel gesperrt worden, aber die
falsch gewählte Persönliche Strafe
ersparte ihm eine längere Sperre.
■
Hannover 96 – SC Freiburg
Die Bewertung von Handspiel war
nicht nur während der EM 2012, son-
dern auch in der Hinrunde der
aktuellen Saison ein immer wieder
heiß diskutiertes Thema. In erster
Linie ging es dabei um die unnatürli-
che Armhaltung zur Verbreiterung
Foto 3
Foto 4
Foto 2