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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 2 / 2 0 1 3
Porträt
Oreste Steiner bleibt am Ball
Schiedsrichter und Personenkult – das schließt sich natürlich aus. Auch und gerade bei Oreste
Steiner. Dennoch wollen wir noch einmal über den inzwischen 77-Jährigen aus Essen berichten –
vier Jahre nach seinem beeindruckenden Auftritt in einem Dokumentarfilm, der in Deutschlands
Kinos lief. SRZ-Mitarbeiter Bernd Peters traf ihn in seinem Alltag, bei einem Spiel der Kreisliga C.
E
nde vergangenen Jahres in
Essen, Helmut-Rahn-Sportan-
lage an der Raumerstraße. Es
gibt keinen passenderen Ort, um
„
den Schweizer“ zu treffen. Wen?
Oreste Steiner heißt „der Schwei-
zer“ mit bürgerlichem Namen,
und es gibt außerordentlich viele
Schiedsrichter in Deutschland, die
diesen Kollegen kennen: Oreste
Steiner war einer der drei Prota-
gonisten in dem Fußball-Doku-
mentarfilm „Spielverderber“, der
im Frühjahr 2009 in die Kinos kam.
Heute ist Kreisliga C, Gruppe 1,
für den Schiedsrichter angesagt,
Spielbeginn 12.45 Uhr. Auf einem
abgespielten Kunstrasen trifft der
SC Phönix Essen II auf die Ball-
freunde Bergeborbeck II. In der
41.
Minute spielen die müden
Kicker auf beiden Seiten unglaub-
liche neun Fehlpässe am Stück,
ohne einmal die Kugel an den
eigenen Mann zu bringen – den-
noch setzt Oreste Steiner zum
beherzten Sprint an. Er ist schnel-
ler auf Ballhöhe als der Phönix-
Angreifer, der auf Linksaußen steil
geschickt wird.
Dabei sieht der Spieler aus wie
Mitte 20. Und Oreste Steiner, der
kompakte Mann im grauen Trikot,
ist sagenhafte 77. Und weiter weg
vom Ball war er auch noch. Für
jeden Unwissenden ein Phänomen –
für Fußball-Obmann Carsten Paw-
lovski keine Überraschung mehr.
„
Der Schweizer ist hier oft der Fit-
teste auf dem Platz“, lacht er.
„
Und dazu ist seine Routine Gold
wert. Wir freuen uns immer, wenn
er kommt. Weil wir dann wissen,
dass in dem Spiel nichts schief-
geht.“
Wenn Oreste Steiner solche
Lobeshymnen hört, senkt er den
Kopf ein kleines bisschen. Das
Leben lehrte den pensionierten
Grafik-Designer aus dem Ski-
Gebiet St. Moritz (nicht zu überhö-
ren am sympathischen Schweizer
Akzent), der Anfang der 60er-Jahre
ins Ruhrgebiet kam, Bescheiden-
heit. Ihn freuen andere Dinge.
„
Wir haben vor kurzem das 100-
jährige Bestehen der Essener
Schiedsrichter-Vereinigung
gefeiert. Beim großen Fest in der
Grugahalle war ich auch invol-
viert. Ich war einer von vier ‚alten
Säcken’, die von früher erzähl-
ten“, berichtet er. „Alter Sack“,
mit diesem Ausdruck tituliert sich
Oreste Steiner gern selbst, wohl
wissend, dass er genau das eben
nicht ist. „Und wir hatten tolle
Gäste. Herbert Fandel kam auch.
Er hatte sich diesen Termin extra
freigehalten.“
Immer noch auf Essens Fußballplätzen im Einsatz: Oreste
Steiner heute und 2009 auf dem Titel der DFB-Schieds-
richter-Zeitung.
Der heutige Chef der DFB-Schieds-
richter-Kommission spielte gemein-
sam mit Steiner und dem Kölner
Jung-Schiedsrichter Kevin Prös-
dorf die Hauptrolle in besagtem
Film, der sich mit den unter-
schiedlichen „Laufbahnen“ der
drei Unparteiischen befasste. Her-
bert Fandel war zu der Zeit noch
FIFA-Referee. Der Kontakt zwi-
schen den beiden besteht immer
noch. „Seitdem begrüßt der Her-
bert mich immer mit ,Hallo, alter
Sack‘ und hat mir auch eines sei-
ner Schiedsrichter-Trikots
geschenkt“, lacht Oreste. Jetzt
senkt er den Kopf nicht, er ist
stolz. Und er ist der einzige aus
dem Kino-Trio, der immer noch
aktiv ist. Kevin hängte die Pfeife
inzwischen leider an den Nagel,
Herbert Fandel wechselte vom
Spielfeld auf den Chefsessel der
deutschen Schiedsrichter.
Oreste Steiner steht weiter auf
dem Platz. Was heißt „steht“? Er
läuft weiter über den Platz, muss