12
S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 1 / 2 0 1 3
Lehrwesen
schaft zu ahnden. Kommt es aber
genau auf der Strafraumlinie oder
im Strafraum zu einem Halten,
Ist der Strafraum falsch markiert, lässt der Schiedsrichter die Linien neu abzeichnen. Das gilt
für jede Spielklasse.
Wenn ein Pfiff das
Spiel entscheidet
Es ist eine der undankbarsten
Situationen für einen Schiedsrich-
ter: Zwischen den beiden Mann-
schaften steht es unentschieden,
und kurz vor Schluss kommt es zu
einer kniffligen Situation im Straf-
raum. Alle Augen sind auf den
Schiedsrichter gerichtet: Pfeift er
Foul und damit Strafstoß? Oder
lässt er weiterspielen? Mit einem
Pfiff würde der Unparteiische das
Spiel wahrscheinlich entscheiden –
aber er ist sich selbst nicht ganz
sicher. Und eine Zeitlupe hat er
auch nicht zur Verfügung. FIFA-
Schiedsrichter Florian Meyer gibt
im Gespräch mit David Bittner
Tipps, wie man nun als Schieds-
richter agieren sollte.
Herr Meyer, wie würden Sie ent-
scheiden, wenn Sie zu 99 Prozent
davon überzeugt sind, dass Sie
Elfmeter geben müssten?
Florian Meyer:
Dies ist keine
Frage einer prozentualen Berech-
nung. Wenn ich aufgrund meiner
eigenen Wahrnehmung und gege-
benenfalls der der neutralen
Assistenten absolut überzeugt
und sicher bin, dass ein Vergehen
vorliegt, werde ich auf Strafstoß
entscheiden. Habe ich einen leich-
ten Zweifel, lasse ich weiterspielen.
Welche Möglichkeiten und Krite-
rien hat der Schiedsrichter, um zu
entscheiden, ob bei einem Zwei-
kampf im Strafraum ein Foulspiel
vorliegt, oder ob es ein korrekter
Kampf um den Ball war?
Meyer:
Hilfreiche Kriterien sind
der Lauf des Balles und die Fall-
bewegung des Stürmers infolge
eines Zweikampfs. Rollt der Ball
nach einem Zweikampf geradeaus
weiter, so ist dies ein Indiz, dass
der Verteidiger den Ball nicht
gespielt, sondern vielmehr den
Stürmer getroffen hat. Springt
oder rollt der Ball dagegen seitlich
weg, so spricht dies eher für ein
Spielen des Balles durch den Ver-
teidiger. Hierbei ist aber auch dar-
auf zu achten, ob der Verteidiger
nicht gleichzeitig mit dem ande-
ren Bein den Stürmer noch zu Fall
gebracht hat. Ein Spieler, der
gefoult wird, fällt normalerweise
zu der Seite, von der ihm das Bein
gestellt wird. Fällt er zur gegen-
überliegenden Seite, deutet dies
eher auf einen selbst gesuchten
Faller hin.
Was ist der Unterschied zwischen
einem Elfmeter, den ein Schieds-
richter geben kann, und einem Elf-
meter, den er geben muss?
Meyer:
Ebenso wie im Mittelfeld
gibt es auch bei der Beurteilung
von Situationen im Strafraum
Ermessens-Bereiche. Ein Spielen
des Balles mit der Hand über Kopf-
höhe muss als absichtliches Hand-
spiel geahndet werden. Dagegen
liegt es im Ermessen des Schieds-
richters, wie er die konkrete Situa-
tion bewertet, wenn ein Spieler
den Ball mit leicht vom Körper
abgewinkeltem Arm berührt. Beim
deutlichen Halten am Trikot eines
Stürmers hat der Schiedsrichter
keinen Entscheidungs-Spielraum,
wohingegen er bei einem leichten
Trikotzupfen im Einzelfall beurtei-
len kann, ob das Zupfen aus-
schlaggebend für den Fall des
Stürmers war oder nicht.
Welche Rolle spielen Spielstand
und Spielminute für die Entschei-
dungsfindung?
Meyer:
Keine. Ist der Schiedsrich-
ter davon überzeugt, dass ein
strafstoßwürdiges Vergehen vor-
liegt, entscheidet er auf Strafstoß,
unabhängig vom Spielstand und
Zeitpunkt. Jeder Schiedsrichter
sollte mental darauf vorbereitet
und damit auch in jedem Augen-
blick innerlich dazu bereit sein,
eine solch wichtige Entscheidung
treffen zu müssen.
Wie lange darf sich der Schieds-
richter Zeit lassen bis zu seiner
Entscheidung? Und wie kann man
diese kurze Zeitspanne zwischen
Zweikampf und möglichem Pfiff
nutzen?
Meyer:
Je schneller und überzeu-
gender der Schiedsrichter eine
Entscheidung trifft, desto eher
Tipps von FIFA-Schiedsrichter Florian Meyer
Beinstellen oder Treten durch
einen Verteidiger, und der
Schiedsrichter entscheidet auf
Strafstoß, dann bleiben die Proteste
nicht aus. Jetzt muss es dem
Unparteiischen in kurzer Zeit
gelingen, die Voraussetzungen
zur Strafstoß-Ausführung zu
schaffen, notwendige Persönliche
Strafen auszusprechen und mög-
liche Rudelbildungen aufzulösen.
Außerdem ist es seine Aufgabe,
anschließend den korrekten
Ablauf der Strafstoß-Ausführung
zu überwachen. Da gilt der
Grundsatz: Sicherheit vor Schnel-
ligkeit. Schließlich gehören Ent-
scheidungen im Strafraum zu den
schwierigsten Aufgaben eines
Schiedsrichters, bei denen er
seine ganze Persönlichkeit ein-
bringen muss.
War das Vergehen vor der Straf-
raumlinie, dann hat der Unpartei-
ische den Abstand der „Mauer“ her-
zustellen und gleichzeitig darauf
zu achten, dass die angreifende