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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 1 / 2 0 1 3
Lehrwesen
D
ie folgende Szene der Frauen-
WM in Deutschland ist den
meisten Fußballfans auch heute
noch präsent: Beim Vorrunden-
spiel Äquatorialguinea gegen
Australien nahm die Spielerin Ana
Cristina Bruna aus dem westafri-
kanischen Staat den Ball im eige-
nen Strafraum in beide Hände. Da
die Begegnung zu diesem Zeit-
punkt lief, war dies ein absichtli-
ches und damit strafbares Hand-
spiel. Während die australischen
Gegnerinnen mit Recht Strafstoß
forderten, ließ die ungarische
Schiedsrichterin Gyöngyi Gaal
weiterspielen.
Irritationen auf dem Platz und
ungläubiges Staunen bei den
Zuschauern im Stadion und an den
Bildschirmen waren die Folge. Der
Fußball hat ja schon viele
Geschichten geschrieben – aber so
eine Szene hatte es noch nicht
gegeben. Die Norwegerin Karen
Espelund gab als FIFA-Beauftragte
des Spiels deshalb schon bald
nach dem Abpfiff eine Stellung-
nahme zu dem Vorfall. Sie erklärte
kurz und lapidar: „Es gab da eine
Episode. Wir haben mit der Schieds-
richterin gesprochen. Es tut ihr
sehr leid, dass sie das Handspiel
übersehen hat.“ Glück im Unglück:
Der Lapsus war nicht spielent-
scheidend, denn die Australierin-
nen gewannen am Ende mit 3:2.
Dennoch wird an diesem Vorgang
deutlich, welch eine Brisanz in ein
Spiel kommen kann, wenn sich das
Geschehen in einen der beiden
Strafräume verlagert.
In Fachkreisen sorgte dieser Feh-
ler der Schiedsrichterin natürlich
auch für Diskussionen: Wie konnte
so etwas geschehen? War es ganz
einfach ein Moment der Unkon-
zentriertheit bei der Unpartei-
ischen? Oder lagen vielleicht
regeltechnische Ursachen zu
Grunde? Hatte die Unparteiische
die Spielerin möglicherweise auf-
grund der ähnlichen Spielkleidung
mit der Torfrau verwechselt? Bei
der Klärung dieser Fragen muss
auch die Rolle der Assistentinnen
beleuchtet werden: In welcher
Form lief die Absprache vor dem
Spiel? Und wie sollte die Kommu-
nikation in einer solchen Situation
mit einem Fahnenzeichen oder
dem Headset erfolgen?
Bedauerlicherweise kommen Feh-
ler von Schiedsrichtern bei Straf-
raum-Situationen immer wieder
vor. Denn zahlreiche Aktionen lau-
fen gerade in diesem Bereich des
Spielfelds mit hoher Intensität
und Geschwindigkeit ab. Dies
musste erst in der jüngeren Ver-
gangenheit Wolfgang Stark mit
seinem Team beim EM-Spiel zwi-
schen Spanien und Kroatien erle-
ben. Mit der menschlichen Wahr-
Je näher das Spielgeschehen dem gegnerischen Tor kommt, umso kniffliger wird es für den
Schiedsrichter – denn seine Entscheidungen im Strafraum sind in diesem Bereich oft von großer
Bedeutung. Worauf der Unparteiische hier besonders achten muss, erklärt Günther Thielking.
Er stellt den Inhalt des aktuellen DFB-Lehrbriefs Nr. 46 vor.
Brennpunkt Strafraum
Im Strafraum muss der Schiedsrichter alles im Blick haben – da ist allerhöchste Konzentration
gefordert.
Aufreger bei der Frauen-WM 2011: Ana Cristina Bruna aus
Äquatorialguinea nimmt den Ball in die Hände – der Pfiff der
Schiedsrichterin bleibt aus.