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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 5 / 2 0 1 2
Kann Schiedsrichter Proenca (hinter Ramos) aus seiner Posi-
tion das Handspiel erkennen?
Im Flug köpft
Sergio Ramos den
Ball gegen den
Unterarm des
Italieners Bonucci.
Keine Absicht: Boateng fliegt der Ball an die Hand.
Absicht: Arbeloa lenkt den Ball mit den Unterarmen ab.
Foto 6
Foto 7
Foto 8a
Foto 8b
zurück
(
Foto 5a, vorige Seite)
.
Dann
gibt er das Spiel wieder frei.
Foto 5b
zeigt diesen Moment: Die „Mauer“ ist
höchstens acht Meter entfernt (ein
Rasenstreifen ist 5,50 Meter breit),
und der Portugiese am Teilkreis
noch viel weniger. Dabei steht er
auch noch im Blickfeld des
Schiedsrichters auf die „Mauer“!
Fast anderthalb Minuten hat es
übrigens gedauert, bis der Frei-
stoß ausgeführt wurde, der eine
gute Torchance „ersetzte“.
Ein solch ungewöhnliches Stel-
lungsspiel praktizierte der franzö-
sische Schiedsrichter auch im
Spiel Tschechien gegen Griechen-
land, wo er nicht nur im Weg
stand, sondern sogar umgerannt
wurde. Dieses „Ganz-dicht-dran-
sein-Wollen“ wurde von anderen
EM-Schiedsrichtern auch während
des laufenden Spiels vorgeführt –
Endspiel-Schiedsrichter Pedro
Proenca zum Beispiel schien
immer in Bewegung sein zu müs-
sen. Vor allem im einseitigen Spiel
Spanien gegen Irland kreuzte er in
der Angriffshälfte des Europameis-
ters häufig die Lauf- und Pass-
wege der Spieler. Die Folge: Er
musste noch mehr laufen, um das
Spiel nicht aufzuhalten oder vom
Ball getroffen zu werden.
Dass diese Art des Stellungsspiels
keine Anweisung war, sah man im
Spiel Spanien gegen Kroatien, als
Wolfgang Stark sich geschickt aus
dem spanischen Kreiselspiel her-
aushielt, indem er einfach stehen
blieb und so für die Spieler bere-
chenbarer wurde.
Szene 6: „Mauer/Hand“
aus Spanien – Portugal
Die erste von drei Szenen, in
denen es sich um eines unserer
Lieblingsthemen“ bei dieser EM
dreht – das Handspiel. Im ersten
Fall geht es um einen Freistoß.
Schiedsrichter Cakir stellt sich,
nachdem er die „Mauer“ auf den
korrekten Abstand gebracht hat,
geschickt hin: Er stört niemanden,
hat aber die Ausführung und die
Spieler in der „Mauer“ gut im Blick.
Und so erkennt er dann auch das
Handspiel des Spaniers Arbeloa.
Der dreht sich als äußerer Spieler
ist eine Entfernung von etwa zehn
bis 15 Metern ideal.
Ohne Torrichter, also im Normalfall,
wäre die Situation in der rechten
Hälfte des Strafraums in die
Zuständigkeit des Assistenten an
der Linie gefallen. Aber wenn auch
er wie der Torrichter der Meinung
ist, dass der Ball zunächst abge-
fälscht wurde und deshalb hinter
das Tor flog, wird er Ecke anzeigen.
Dass Ramos nach dem möglichen
Abfälschen des Balles den Fuß von
Mandzukic trifft, zeigt
Foto 4b,
vorige Seite.
Nach dem Studium
der diversen Zeitlupen muss man
zu dem Schluss kommen, dass hier
ein Strafstoß berechtigt gewesen
wäre, auch wenn es nicht so klar
war, wie es öffentlich dargestellt
wurde. Dies lässt zumindest Ver-
ständnis für die getroffene Ent-
scheidung – „im Zweifelsfall weiter-
spielen“ – aufkommen.
Szene 5: „Vorteil/Mauer-
stellung/Stellungsspiel“
aus Portugal – Deutschland
Sami Khedira führt den Ball rund
20
Meter vor dem Tor parallel zum
Strafraum, verfolgt von einem Por-
tugiesen, der von hinten hakelt.
Der Deutsche kommt ein wenig aus
dem Tritt, kann den Ball aber noch
steil zu Mario Gomez in den Straf-
raum spielen. Der dreht sich um
seinen Gegenspieler, als Schieds-
richter Lannoy pfeift – zwei Sekun-
den nach dem Foul an Khedira und
mitten hinein in die große Chance
für die deutsche Mannschaft.
Gomez schießt noch den Ball ins
Tor, aber die Portugiesen haben
inklusive ihres Torwarts die Arbeit
schon eingestellt.
Was nach diesem überflüssigen
Pfiff folgt, ist in jeder Hinsicht
schlecht. Weder stimmt der
Abstand der „Mauer“, noch werden
die umstehenden Spieler in dieser
Hinsicht vom Schiedsrichter beach-
tet. Er gibt den Ball frei, aber die
Deutschen reklamieren den
Mauer“-Abstand. Sofort pfeift Lan-
noy zwei Mal kurz und geht auf die
Mauer“ zu. Dort spricht er nicht
etwa den außen stehenden Spieler
an, sondern schiebt in der Mitte
der „Mauer“ Bruno Alves mit der
rechten Hand circa 30 Zentimeter
EM-Analyse