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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 5 / 2 0 1 2
Unakzeptabel! Die Situation bei der Freistoß-Ausführung.
Fingerzeig: Schiedsrichter Lannoy schiebt Alves nach hinten.
Unmittelbar danach
landet Ramos’ Fuß
auf dem Spann des
Kroaten.
Entscheiden Sie selbst: Mandzukic trifft den Ball. Und Ramos?
Foto 4a
Foto 4b
Foto 5a
Foto 5b
nen, man könnte ihn nur erraten.
Der ungarische Torrichter Istvan
Vad hat sich in diesem 50:50-
Moment für die falsche Seite ent-
schieden. Kann man ihm das wirk-
lich vorwerfen?
Wozu diese Situation allerdings
gut war: Sie zeigte in aller Deut-
lichkeit auf, dass durch Torrichter
die wichtigste Frage des Spiels
im Zweifelsfall nicht zu klären ist.
Und sie hat die Entscheidung für
die Tor-Technologie, auf die wir
an anderer Stelle in dieser Ausga-
be eingehen, erheblich beschleu-
nigt.
Aber das ist natürlich für das
Team um den souveränen Schieds-
richter Viktor Kassai auch kein
richtiger Trost.
Szene 4: „Torrichter“ aus
Kroatien – Spanien
Und auch das deutsche Schieds-
richter-Team war von einer Situa-
tion betroffen, in der der Torrich-
ter eine große Rolle spielte. Als
Mandzukic den Ball knapp inner-
halb des Strafraums nach innen
flanken will, springt der Spanier
Ramos mit der Sohle voraus und
trifft den Kroaten am Fuß. Aber
hat er nicht zuerst den Ball getrof-
fen, wie es das
Foto 4a
wohl zeigt?
Ganz links am Bildrand, verdeckt
von einem kroatischen Spieler, ist
übrigens Wolfgang Stark zu erken-
nen. Verständlich, dass er aus die-
ser Position über die Situation
nicht entscheiden kann.
Letztendlich wurde deshalb hier
vor allen Dingen der Torrichter in
die Verantwortung genommen.
Allerdings war es für Florian
Meyer eine äußerst undankbare
Situation, da er sich im Abstand
von wenigen Metern zur Situation
befand, die sich in sehr hohem
Tempo und mit einer großen
Dynamik abspielte. Auch wenn
das von der Öffentlichkeit anders
wahrgenommen wird („der steht
doch direkt daneben“), so ist es
doch erwiesen, dass eine geringe
Distanz zum Geschehen den Blick-
winkel und die Wahrnehmung
nachteilig verändert. Um eine
Szene in ihrer Gesamtheit sowie in
den Details erfassen zu können,
zuvor eine strafbare Abseitsstel-
lung gegeben hatte. Die einzige
übrigens, die das große Lob für die
Assistenten ein wenig welken ließ.
Und wir wissen auch, dass wir für
die Spielleitungen bei uns daraus
nichts entnehmen können, da es in
Deutschland keine Torrichter
geben wird. Aber wir finden, dass
es die Fairness gegenüber den
ungarischen Schiedsrichter-
Kollegen gebietet, den Fehler an
dieser Stelle richtig einzuordnen.
Dass der Ball, als John Terry ihn
herausschlug, vollständig hinter
der Linie war, kann man mit dem
Foto 3a
belegen: Zwischen der Tor-
latte, die identisch mit der Torlinie
verläuft, und dem Ball ist ein
schmaler dunkler Streifen zu
erkennen. Was hier einigermaßen
eindeutig aussieht, führte in der
öffentlichen Diskussion zu der ver-
breiteten Meinung, so etwas müsse
doch klar zu erkennen sein. Zwei
Dinge wurden dabei nicht berück-
sichtigt:
1.
Der Torrichter ist keine festge-
schraubte Kamera. Am Bildrand
unten ist zu erkennen, dass sich
sein Kopf etwas links von der idea-
len Linie befindet. Dadurch hat er
auf den Ball einen leichten
Schrägblick, der ihm zudem vom
Pfosten ein wenig verstellt wird.
2.
Noch bedeutender ist aber fol-
gende Tatsache, die durch das
Standbild völlig verleugnet wird:
Der Ball befindet sich höchstens
eine Zehntelsekunde lang in die-
ser Position! Dieser klitzekleine
Moment wird erst durch das Foto,
was man von ihm macht, ins
Unendliche verlängert. Dabei:
Bereits eine weitere Zehntelsekun-
de später ist der Ball schon nicht
mehr vollständig hinter der Linie,
wie
Foto 3b
zeigt. Und was noch
dazu kommt: Es gibt nichts, was
sich farblich absetzt und so Unter-
scheidungshilfen bieten würde.
Alles ist weiß: der Ball, die Klei-
dung von Terry, sein Schuh, der
Pfosten, die Torlinie.
Wir behaupten: Niemand könnte in
der Normalgeschwindigkeit des
Ablaufs den genannten schmalen
dunklen Streifen eindeutig erken-