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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 4 / 2 0 1 2
Eindeutig: Claudio Pizarro legt sich den Ball mit dem Oberarm vor.
Die Szene spielt sich kurz vor
dem Torraum ab.
Analyse
Wenn die Hand ins Spiel kommt
Ist es strafbar oder nicht, wenn der Ball mit irgendeinem Teil des Arms in Berührung kommt? Das
wird wohl ewig eines der schwierigsten Kapitel der Regelauslegung und -anwendung bleiben.
Auch an den letzten Spieltagen der vergangenen Saison wurde dieses Thema oft diskutiert, wie
Lutz Wagner und Lutz Lüttig bei ihren Analysen von Spielszenen festgestellt haben.
28.
SPIELTAG
■
Werder Bremen – FSV Mainz 05
Eine Flanke an den Torraum nimmt
Claudio Pizarro mit dem Oberschen-
kel an. Den nach oben abprallenden
Ball lenkt er mit einer minimalen
Bewegung des Oberarms in die rich-
tige Position und schießt ihn beim
Stand von 0:2 ins Tor. Was auf dem
großen Bild vollkommen klar aus-
sieht
(
Foto 1a)
,
dauert natürlich nur
den Bruchteil einer Sekunde und ist
durch die Anwesenheit der übrigen
Spieler am Torraum besonders
schwierig zu erkennen
(
Foto 1b)
.
Aber FIFA-Schiedsrichter Knut Kir-
cher pfeift dank seines guten Stel-
lungsspiels sofort und erkennt das
Tor nicht an.
Ein so erfahrener Unparteiischer
weiß natürlich, dass außer dem
„
Sünder“ und dem Schiedsrichter
kaum jemand erkannt hat, was da
passiert ist. Deshalb macht er
etwas, was in solchen kaum zu
erkennenden Situationen hilfreich
für alle Beteiligten ist: Er zeigt mit
einer entsprechenden Geste an,
dass er ein Handspiel gepfiffen hat.
Damit kommt es erst gar nicht bei
Spielern, Trainern und Zuschauern
zu der immer wieder gern gestell-
ten Frage: Was hat er denn da
gepfiffen?
Dass die Fernsehbilder diese Ent-
scheidung eindeutig bestätigten,
sei hier auch einmal erwähnt.
Schließlich sind Wiederholungen
und Zeitlupen nicht in jedem Fall
zum Nachteil der Schiedsrichter
und ihrer Assistenten.
Unter diesem Aspekt war es doch
sehr interessant, was man am Mon-
tag nach diesem Spiel im Bericht
eines Fußball-Fachblatts lesen
konnte. Dem Schiedsrichter wurde
dort eine insgesamt souveräne Leis-
tung bescheinigt. Dennoch bekam
er lediglich die Note 4. Begründung:
„
Bei Pizarros annulliertem Tor auf
absichtliches Handspiel zu ent-
scheiden, war auf einen Wahrneh-
mungsfehler zurückzuführen.“
Die Retourkutsche mit dem „Wahr-
nehmungsfehler“ ersparen wir uns
an dieser Stelle.
■
FC Augsburg – 1. FC Köln
Auch hier ging es um die spezielle
Wahrnehmung und Bewertung
eines Spielvorgangs, die erfahrene
Schiedsrichter den nur oberfläch-
lich Regelkundigen voraus haben.
Und das sind ja bekanntermaßen
sehr viele der am Fußball Beteiligten.
Lukas Podolski versucht – bedrängt
von einem Gegenspieler – im Augs-
burger Strafraum einen Einwurf mit
dem Kopf zu spielen. Dabei kommt
mit Daniel Baier ein weiterer Augs-
burger hinzu und will mit einem
„
hohen Bein“ an den Ball kommen
(
Foto 2 nächste Seite)
.
Schon die-
ses „gefährliche Spiel“ ohne Kör-
perkontakt müsste – unter Beach-
tung der Vorteil-Bestimmung – einen
indirekten Freistoß zur Folge haben.
Aufgrund seiner spielnahen Posi-
tion erkennt Schiedsrichter Tobias
Welz aber, dass Baier den Kölner
mit seinem Fuß klar am Oberkörper
trifft. Ohne zu zögern, erkennt er
auf Strafstoß für Köln, weil aus dem
Gefährlichen Spiel ein Foul mit Kör-
perkontakt geworden ist. Dass der
Schiedsrichter hier auf die Persönli-
che Strafe verzichtet, ist korrekt,
denn es war wohl eher Ungeschick-
lichkeit als Absicht die Ursache.
30.
SPIELTAG
■
Borussia Dortmund – Bayern
München
Ein besonders intensiver Moment
dieses hochklassigen Spiels ereig-
net sich in der 85. Minute beim
Stand von 1:0 für Dortmund. Arjen
Robben tickt den Ball mit dem lin-
ken Fuß leicht nach links, so dass
Borussias Torwart Weidenfeller bei
seinem Hechtsprung vor die Füße
des Bayern-Stürmers die Kugel
nicht berührt
(
Foto 3 nächste Seite)
.
Robben kommt zu Fall, Schiedsrich-
ter Knut Kircher gibt Strafstoß.
Gern wird in ähnlichen Situationen
ja argumentiert, dass der Torwart
doch versucht habe, den Ball zu
spielen, oder dass der Stürmer ihn
doch gar nicht mehr erreicht hätte.
All’ das ist für den Schiedsrichter
nicht relevant. Wenn ein Torhüter
sich in den Laufweg eines auch noch
besonders schnellen Spielers wirft,
dieser aber vor ihm am Ball ist und
dann versucht, seine normale Bewe-
gungsrichtung zum Ball beizubehal-
ten, kommt es zwangsläufig zum
Kontakt. Dieses Risiko muss der Tor-
wart schon selbst tragen und kann
es nicht auf den Schiedsrichter
abwälzen. Denn ob der Angreifer
genau dieses Ziel verfolgt hat,
bleibt immer im Reich der Spekula-
tion. Und wer sich als Schiedsrich-
ter auf Spekulationen einlässt,
befindet sich schon auf dem Holz-
weg.
Knut Kircher lag also auch hier
richtig, einen Strafstoß (ohne Per-
sönliche Strafe) zu verhängen.
Sicher war es eine besonders
schwierige Entscheidung, die aber
zusätzliche Glaubwürdigkeit
gewann durch das glänzende Stel-
lungsspiel des Schiedsrichters (auf
dem Foto am oberen Bildrand zu
sehen), der die Szene genau beob-
achten kann.
■
FC St. Pauli – Union Berlin
Nach so viel Lob für unsere
Schiedsrichter möchten wir an die-
ser Stelle aber auch einmal einen
Foto 1a
Foto 1b