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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 3 / 2 0 1 2
Wenn einer Miene macht…
Der Theologe Dr. Klaus Loscher (70) aus Bayreuth ist
seit 1958 Schiedsrichter. Er schreibt uns: „Bei mei-
nen Studien zur Kriegsgefangenschaft deutscher
Soldaten (hierüber ging meine Dissertation „Stu-
dium und Alltag hinter Stacheldraht“) bin ich auf
einen Auszug der Zeitung ,Die Baracke’ des japani-
schen Kriegsgefangenenlagers ,Bando’ vom Novem-
ber 1917 gestoßen, der im Grunde zum Schmunzeln
anregt. Es ging schon damals um die Abseitsregel,
die auch heute – nach nahezu 100 Jahren – nicht
unumstritten ist.“
Hier ist dieser Text aus dem Jahr 1917:
Uns liegt eine Zuschrift des Schiedsrichters Schmitz
vor, die sich mit unserer in „Baracke“ Nr. 3 gegebe-
nen Besprechung des Wettspiels M.A.III gegen K.7.1
am 7. Oktober befasst. Schmitz stößt sich an unse-
rer Bemerkung betreffs Anwendung der Abseits-
regel.
Wir bemerken dazu: Festgesetzt vom hiesigen Spiel-
Ausschuß und in Kraft bis zum 8. Oktober war die
folgende Abseitsregel: ,,Ein bloßes Abseitsstehen
eines Spielers, ganz gleich ob er in das Spiel ein-
greift oder nicht, genügt, um der Gegenpartei einen
Freistoß zu geben.“ Der Schiedsrichter Schmitz hielt
sich in dem am 7. Oktober stattfindenden Wettspiel
nicht an diese Regel, sondern gab nur dann einen
Freistoß, wenn ein abseitsstehender Spieler in das
Spiel eingriff.
Auf einen Protest der K.7 hin, fand am nächsten
Tage eine Spielführer-Sitzung statt, in der man sich
dann wie folgt einigte: „Wenn ein Spieler abseits
steht, darf erst dann abgepfiffen werden, wenn er
Miene macht, in das Spiel einzugreifen.“ Diese
Abseitsregel deckt sich mit der im Jahrbuch des
D.F.V. (muss wohl DFB heißen, d. Red.) für 1913 gege-
benen.
So liegen die Tatsachen, unsere Bemerkung war also
berechtigt. Es stellt sich allerdings jetzt heraus, daß
Schmitz nach bester Überzeugung handelte, da über
die Auffassung der Abseitsregel geteilte Ansicht
bestand. Der Angelegenheit lag ein Mißverständnis
zu Grunde, ein Teil der Schiedsrichter und Spielfüh-
rer war derselben Ansicht wie Schmitz, der andere
dagegen hielt die strenge Abseitsregel bis zum
8.
Oktober für bestehend. Die Abseitsregel ist jetzt
endgültig festgelegt und damit auch hoffentlich
Meinungsverschiedenheiten der Boden entzogen.
Das allerdings war reines Wunschdenken, wie wir
heute wissen.
Abseitsstreit schon im Ersten Weltkrieg
Auszeichnung
für Volker Roth
Die Auszeichnung war im wahrsten
Sinne des Wortes überfällig. Hoch
über den Dächern des Frankfurter
Flughafens bekam der ehemalige
Vorsitzende des DFB-Schiedsrich-
ter-Ausschusses, Volker Roth, am
21.
Februar von Dr. Theo Zwanziger
und seinem Nachfolger als DFB-Prä-
sident, Wolfgang Niersbach, die
Peco-Bauwens-Medaille überreicht.
Vorgesehen war diese Auszeich-
nung bereits für den DFB-Bundes-
tag im Oktober 2010. Da jedoch war
Volker Roth verhindert, so dass die
Überreichung der Medaille samt
Urkunde und Blumenstrauß nun-
mehr in kleinem Kreis nachgeholt
wurde.
Ein weiterer Anlass für das offizielle
Mittagessen im Airport-Club, an
dem unter anderem auch DFB-Vize-
präsident Karl Rothmund, der stell-
vertretende DFB-Generalsekretär
Stefan Hans, Wilfried Heitmann (NFV-
Schiedsrichter-Ausschuss), DFB-
Schiedsrichter-Referent Klaus Löw
sowie FIFA-Schiedsrichter Dr. Felix
Brych teilnahmen, war der 70. Ge-
burtstag von Volker Roth wenige
Tage zuvor. Weitere Wegbegleiter
von Volker Roth, wie beispielsweise
die FIFA-Schiedsrichter Wolfgang
Stark und Florian Meyer, mussten
wegen des Streiks am Frankfurter
Flughafen kurzfristig absagen.
In seiner kurzen Laudatio würdigte
Dr. Zwanziger die besonderen Ver-
dienste von Volker Roth für das
deutsche Schiedsrichter-Wesen:
„
Dass die Unparteiischen aus
Deutschland heute auf der ganzen
Welt einen so guten Ruf genießen,
ist vor allem auch Ihrem Engage-
ment und Ihrer Leidenschaft für
die Schiedsrichterei zu verdan-
ken.“
Volker Roth (Mitte) mit Dr. Theo Zwanziger und Wolfgang
Niersbach.
Besonderer Einsatz:
Eric Müller.
Sein Honorar
war die Erfahrung
Es passiert zum Glück nicht alle
Tage, dass ein Schiedsrichter ver-
letzungsbedingt das Feld räumen
muss. Wenn der Fall jedoch wie
beim A-Junioren-Bundesligaspiel
zwischen Werder Bremen und dem
FC St. Pauli eintritt, ist es gut,
wenn ein Kollege einspringen
kann.
Schiedsrichter Marcel Neuer aus
Gelsenkirchen stürzte Mitte der
ersten Halbzeit ohne Fremdeinwir-
kung und brach sich dabei – wie
sich später herausstellte – das
Handgelenk. Trotz Schmerzen hielt
der Bruder unseres Nationaltor-
warts bis zur Halbzeitpause durch.
Zur zweiten Halbzeit konnte Neuer
jedoch nicht mehr antreten. Glück-
licherweise war mit Bremen-Liga-
Schiedsrichter Eric Müller, der als
Zuschauer zugegen war, schnell
ein qualifizierter Ersatz gefunden.
„
Für mich war es in dieser Situa-
tion eine Selbstverständlichkeit
einzuspringen und dem Schieds-
richter-Team zu helfen. Gemeinsam
mit zwei Kollegen, die man erst
fünf Minuten zuvor kennengelernt
hatte, ein Spiel zu leiten, das war
eine tolle Herausforderung für
mich und hat mir sehr viel Spaß
gemacht“, sagte Müller. Auf das
Honorar für die spontane Spiellei-
tung verzichtete er, schließlich sei
das für ihn eine wertvolle Erfah-
rung gewesen, meinte der 22-Jäh-
rige. Eine bemerkenswerte Einstel-
lung.