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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 3 / 2 0 1 2
Wer hat schon mal gepfiffen?
Wenn man etwas weiter entwickeln möchte, ist es
gut, dass derjenige, der darüber zu entscheiden
hat, möglichst viel von dieser Sache versteht. Das
hört sich an wie eine Binsenweisheit – und ist auch
eine. Nun sind Binsenweisheiten ja nichts Schlech-
tes, sie drücken lediglich Selbstverständliches aus.
Und auch Selbstverständlichkeiten müssen von Zeit
zu Zeit ausgesprochen werden.
Was das mit unserem Thema zu tun hat? Nun, Ent-
scheidungen über Projekte im Schiedsrichter-
Bereich werden ja nicht nur an der Spitze des DFB
getroffen, sondern – bedingt durch die föderale
DFB-Struktur – auch in den Vorständen der Landes-
verbände. Und da interessierte uns einfach mal, wie
viel schiedsrichterliches Fachwissen an der Spitze
dieser Verbände aktuell vorhanden ist.
Wir haben also in den 21 Landesverbänden nachge-
fragt, wie es denn darum bei der ehrenamtlichen
und der hauptamtlichen Führung bestellt ist. Das
Ergebnis: Zehn Präsidenten und acht Geschäftsfüh-
rer waren oder sind als Schiedsrichter aktiv. Das
bedeutet natürlich nicht, dass alle anderen nicht
kompetent wären, über Schiedsrichter-Angelegen-
heiten zu befinden. Aber es ist sicher von Vorteil,
wenn man selbst einmal auf dem Platz gestanden
hat, um ein Gefühl für die Bedürfnisse von Schieds-
richtern zu entwickeln.
Die meiste Erfahrung ist zweifellos in zwei Verbän-
den des Nordostdeutschen Fußballverbandes
(
NOFV) vorhanden: Brandenburgs Präsident Sieg-
fried Kirschen war in der DDR ein überragender
Umfrage bei Präsidenten und Geschäftsführern der 21 Landesverbände
manchen Strauß mit den Schieds-
richtern ausgefochten hatte, trat
immer wieder für den Respekt
gegenüber den Unparteiischen ein.
Und half auch ganz konkret.
In seiner Funktion als Vorsitzender
des seinerzeitigen DFB-Liga-Aus-
schusses sorgte er 1992 dafür, dass
sich die notwendige Professionali-
sierung des Schiedsrichter-Wesens
und die wachsenden Ansprüche an
die Unparteiischen für sie auch
finanziell bemerkbar machten. In
der entscheidenden Sitzung des
Liga-Ausschusses wehrte er alle
Einwände der Profi-Klubs gegen
eine angemessene Honorierung
ab. So konnten Johannes Malka,
der damalige Vorsitzende des
Schiedsrichter-Ausschusses, und
seine Mitstreiter Hans Ebersberger
und Kurt Tschenscher erreichen,
dass ein Bundesligaspiel fortan mit
2.500
D-Mark honoriert wurde.
Davor gab es 72 Mark…
Und auch bei der Einführung des
Vierten Offiziellen in der Bundesliga
war Gerhard Mayer-Vorfelder, dann
schon als DFB-Präsident, ein starker
Verfechter dieser Neuerung, ohne
die heute an den Seitenlinien zeit-
weise wohl das pure Chaos herr-
schen würde.
In den Jahren ab 2005 hatte das
Schiedsrichter-Wesen dann zumin-
dest im Spitzenbereich in der Öffent-
lichkeit für so viel Aufmerksamkeit
außerhalb des Spielfelds gesorgt,
dass sich Dr. Theo Zwanziger, der
Vorgänger von Wolfgang Niersbach,
immer mehr in die Belange der
Schiedsrichter einschaltete und
später die Zuständigkeit für die
Schiedsrichter im Präsidium an sich
zog. Diese Maßnahme wurde nun –
wie oben schon erwähnt – geän-
dert, auch in der Hoffnung, dass in
Zukunft wieder die praktische
Arbeit der Schiedsrichter auf dem
Platz im Mittelpunkt stehen wird.
***
Als Ferdinand Hueppe zu Beginn
des vorigen Jahrhunderts für die
Vereinheitlichung der Fußballre-
geln in Deutschland sorgte, schuf
der erste Präsident des DFB damit
einen wichtigen Meilenstein für die
WM-Schiedsrichter Siegfried Kirschen ist
seit 1990 Präsident des Fußball-Landesver-
bandes Brandenburg.
Pfeift in der 2. Bundesliga: Mecklenburgs
Geschäftsführer Bastian Dankert.
rasche Ausbreitung des Spiels in
unserem Land. „Alle spielen nach
denselben Regeln!“ Diesen Grund-
satz, der später auch international
anerkannt wurde, indem die FIFA
ab 1906 weltweit verbindlich fest-
legte, wie das Spiel abzulaufen hat,
sieht mancher heute in Gefahr.
Auch der neue DFB-Präsident hat
da seine Bedenken: „Ich sage nur
ja zur Torlinien-Technologie, und
nur dann, wenn sie absolut sicher
ist. Aber selbst diese Einführung
hat das große Handicap, dass sie
erstmals eine Trennung von Profis
und Amateuren im Regelwerk her-
beiführt. Die 28.000 Amateur-Ver-
eine könnten sich keine Technik
leisten. Ein noch weiter führender
Einsatz von Kameras wäre das
Ende des Fußballs.“
■
Schiedsrichter. Er stand 17 Jahre auf der FIFA-Liste
und pfiff bei zwei Weltmeisterschaften. Zudem ist
er Mitglied der DFB-Schiedsrichter-Kommission. Der
31-
jährige Bastian Dankert, Geschäftsführer in
Mecklenburg-Vorpommern, ist aktueller Zweitliga-
Schiedsrichter mit Perspektive.
Die Präsidenten Walter Desch (Rheinland) und
Alfred Hirt (Südbaden) sind immer noch aktiv, Rai-
ner Koch (Bayern) und Dr. Hans-Dieter Drewitz (Süd-
west) haben viele Jahre lang Spiele geleitet. Wolf-
hard Tomaschewski (Thüringen) hat von 1983 bis
1994
insgesamt 385 Spiele gepfiffen und war elf
Jahre lang als Beobachter tätig. Andere Präsiden-
ten haben zumindest kurzfristig in die Schiedsrich-
terei hineingerochen.
Geschäftsführer Michael Hurler (Württemberg) ist
seit 25 Jahren Schiedsrichter, auch sein Kollege
Friedrich Schery (Saarland) ist seit vielen Jahren
aktiv. Carsten Jaksch-Nink (Westfalen) leitete Spiele
bis zur Verbandsliga, Dirk Brennecke (jetzt Mittel-
rhein) hat in Berlin bis zur Oberliga gepfiffen. Und
auch Karsten Marschner (Hamburg) und Rainer
Lehmann (Niederrhein) wissen durch eigene Erfah-
rung, wie es sich anfühlt, als Schiedsrichter zu
amtieren.
Aber auch in den fünf Landesverbänden, in denen
weder Präsident noch Geschäftsführer jemals ein
Spiel geleitet haben, ist in den zuständigen Gre-
mien natürlich viel Schiedsrichter-Erfahrung vor-
handen. Und es gehört ja auch zu den besonderen
Fähigkeiten von Führungspersönlichkeiten, bei
ihren Entscheidungen Fachleuten zu vertrauen.
Noch so eine Binsenweisheit.