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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 3 / 2 0 1 2
Außenansicht
H
äufig und gern sind die deut-
schen Top-Schiedsrichter als
Referenten in Kreisen und Gruppen
der Basis unterwegs, aber nicht
nur da. Deniz Aytekin hatte vor
einiger Zeit eine spezielle Einla-
dung erhalten: Der FIFA-Schieds-
richter stellte sich den interessan-
ten Fragen von 28 Mitgliedern des
Presseclubs Nürnberg.
Den Journalisten aus verschiede-
nen Ressorts ging es dabei nicht
nur darum, was er von technischen
Hilfsmitteln hält, wie man Schieds-
richter wird, wie Auf- und Abstieg
funktionieren oder wie das
Schiedsrichter-Wesen organisiert
ist. Aytekin, der als Betriebswirt
mehrere Internet-Unternehmen
managt, gab unumwunden zu, dass
es für die Qualifikation bis zum
Bundesliga-Referee auch wichtig
sei, zur richtigen Zeit das kleine
Quäntchen Glück zu haben, das
richtige Spiel zu bekommen und
dabei nichts falsch zu machen.
Und seine stattlichen 1,97 Meter
Größe und seine Ausstrahlung
seien wichtige Faktoren bei seinem
Aufstieg gewesen. Doch genau
wegen dieser Äußerlichkeiten hiel-
ten ihn viele für arrogant und
überheblich. Dabei sei er sehr
umgänglich, sehe sich „am Platz
eher als Spielmanager und nicht
als Spielleiter“.
Ein Journalist wollte nicht glau-
ben, dass er so wenig wie möglich
vorher über seine Spiele lese. Doch
Aytekin blieb dabei: „Es würde
mich nur belasten. Und ein Spieler,
der letzte Woche sehr häufig foul
gespielt hat, weil er frustriert war
oder zuvor Streit mit seiner Frau
hatte, kann jetzt ganz zurückhal-
tend sein, ein anderer dagegen auf
einmal über die Stränge schlagen.
Das Schubladendenken ist daher
absolut unangebracht. Für mich ist
entscheidend, was macht der Spie-
ler in meinem Spiel, und nicht das,
was vorher war.“ In der Vorberei-
tung auf ein Spiel sei ihm anderes
wichtiger, zum Beispiel zu wissen,
„
ob ein Torwart häufig das Spiel
schnell macht. Damit ich nicht den
nächsten Angriff verschlafe.“
Lacher erntete Deniz Aytekin mit
Aussagen wie: „Wenn ich in einem
Spiel ganz falsch gelegen hatte,
dann schaue ich mir das ganze Spiel
an, während ich auf dem Laufband
renne und bestrafe mich so.“
Nachdenklich wurde der FIFA-
Mann, als er über Babak Rafati und
dessen Suizidversuch sprach. Auch
die Frage, ob der in Nürnberg
geborene Sohn türkischer Eltern
aufgrund seiner Abstammung
schon einmal rassistischen Anfein-
dungen ausgesetzt war, löste
Stirnrunzeln aus. Bei ihm sei dies
zum Glück noch nicht der Fall
gewesen, sagte Aytekin – mit dem
Nachsatz: „Zumindest habe ich
nichts davon mitbekommen bei
den mehreren Zehntausend Zu-
schauern, die ein Spiel verfolgen.“
Einmal hätte ihn allerdings ein
13-
jähriger Junge beim Gang in die
Kabine in Wolfsburg bespuckt.
Aytekin verzichtete jedoch auf
eine Anzeige, die dem jungen
„
Fan“ ein lebenslanges Stadionver-
bot eingebracht hätte. Stattdessen
forderte er, dass der Übeltäter
einen Schiedsrichter-Kurs besuchen
und mindestens 15 Spiele leiten
sollte. Das hat der gemacht, „und
der Junge ist dabei geblieben, er
pfeift immer noch“, freut sich der
FIFA-Schiedsrichter über die gelun-
gene Maßnahme.
Eine immer wieder gern gestellte
Frage durfte natürlich nicht fehlen:
Warum wird jemand Schiedsrichter
und tut sich dieses Amt an? Sei es
etwa das Machtgefühl oder die
Überlegenheit, die man eventuell
spüre? „Will man Macht ausüben,
ist man zum Scheitern verurteilt“,
ordnete Aytekin den Stellenwert
ein. „Aber das Gefühl, auf den Platz
raus zu gehen, kommt direkt nach
der Geburt meiner Kinder. Diese
Vorfreude genieße ich immer wie-
der aufs Neue, weil ich es durch
harte Arbeit soweit geschafft
habe, ein Teil dieses Fußballs zu
sein.“
Bei den im Presseclub Nürnberg
stattfindenden Gesprächen ist es
Ein besonderer Auftritt
Der Presseclub Nürnberg hatte FIFA-Referee Deniz Aytekin zu einem Gespräch gebeten. Stefan
Herget war für die Schiedsrichter-Zeitung dabei.
gute Sitte, dass der Gast den
Schluss-Satz spricht. Deniz Aytekin
wählte ihn sehr bewusst. In
Anspielung auf ein Nürnberger
Boulevardblatt, das ausgerechnet
Babak Rafati vor einem Spiel in
Nürnberg vor ein paar Jahren als
„
Tomaten-Schiedsrichter“ tituliert
und ein Bild von ihm mit Tomaten
auf den Augen abgebildet hatte,
sagte er: „Ein Schiedsrichter darf
genau wie jeder andere Mensch
nicht vorverurteilt werden.“
Und sein Eindruck auf die Journalis-
ten? Gudrun Bayer von „Nordbay-
ern.de“ überzeugte Deniz Aytekin
„
mit seiner Offenheit und mit
überraschender Nachdenklich-
keit“. Maximilian Schmidt von der
„
Abendzeitung Nürnberg“ notierte
für seine Leser: „Von wegen
unnahbar und arrogant, wie ihn
einige Medien oft beschreiben. Der
1,97-
Meter-Hüne mit türkischen
Wurzeln ist sympathisch, humor-
voll und wortgewandt.“
Womit er das Empfinden der
Gesprächspartner von Deniz Ayte-
kin an diesem Abend im Presse-
club Nürnberg sehr gut getroffen
hatte.
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Der Presseclub Nürnberg führt seine monatlichen Gespräche im Marmorsaal der Nürnberger
Akademie durch. Ende Februar war Deniz Aytekin zu Gast.