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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 3 / 2 0 1 2
Wissenschaft
„
Klischees bewusst machen u
Immer wieder kommt es auf unseren Sportplätzen zu rassistischen Auseinandersetzungen. Welche Rolle
Konflikten spielt, hat Cédric Reichel in seiner Magisterarbeit untersucht. David Bittner hat sich das 142-
die Ergebnisse der Arbeit gesprochen.
T
ürkgücü-Spieler würgt Schieds-
richter“ – diese und ähnliche
Schlagzeilen waren in den vergan-
genen Monaten immer wieder zu
lesen. Sind Vereine, in denen über-
wiegend Fußballer mit Migrations-
Hintergrund spielen, wirklich so
schlimm wie ihr Ruf?
Cédric Reichel:
Bei einer Studie vor
wenigen Jahren wurden die Gründe
für 4.000 Platzverweise im Jugend-
bereich untersucht. Dabei gab es ein-
deutige Ergebnisse: Die Schwere des
Straftatbestands steigt prozentual
mit der Beteiligung nicht-deutscher
Spieler. Besonders bei Tätlichkeiten,
rohem Spiel und Bedrohungen domi-
nieren diese Spieler im Vergleich zu
ihren deutschen Sportkameraden.
Statistiken belegen zudem, dass
zwei Drittel der Spielabbrüche
vordergründig von nicht-deutschen
Spielern verursacht werden.
Welche Rolle spielt der Schieds-
richter bei solchen interkulturellen
Konflikten?
Reichel:
Bei der Frage nach dem
Ereignis, das zu der strafbaren Tat
des Spielers führte, gaben 44,5
Prozent der nicht-deutschen Spie-
ler eine Schiedsrichter-Entschei-
dung als ausschlaggebenden
Grund an. Es galt für mich also zu
untersuchen, ob der Schiedsrich-
ter solche Konflikte verhindern
kann, oder ob er ihnen machtlos
ausgesetzt ist.
Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Reichel:
Ich habe zunächst einmal
versucht herauszufinden, mit wel-
chen Einstellungen die Schieds-
richter bestimmten Vereinen
gegenübertreten. Dazu habe ich
neun Schiedsrichter aus dem
Raum Hildesheim jeweils 45 Minu-
ten lang interviewt. Es stellte sich
heraus, dass bei den Schiedsrich-
tern Vorurteile bestehen, deren
sie sich zwar bewusst sind, die
aber dennoch schwer auszuschal-
ten sind. Ein typisches Beispiel ist
das Klischee des Südländers, der
als heißblütiger und emotionaler
gilt als der deutsche Spieler. Wenn
es in Spielen mit Migranten zu
Platzverweisen, Auseinanderset-
zungen oder zu Eskalationen
kommt, muss als Erklärung hierfür
öfters mal das „südländische Tem-
perament“ herhalten.
Welche Auswirkung haben diese
Vorurteile auf die Spielleitung
eines Unparteiischen?
Reichel:
Ein typisches Merkmal
des heutigen Fußballs ist, dass
viele Spielsituationen extrem
komplex sind. Die menschlichen
Wahrnehmungsmöglichkeiten sind
dagegen beschränkt, so dass der
Schiedsrichter gar nicht alle Infor-
mationen erfassen kann. Erkennt
er eine Situation nicht ganz
genau, so greift er im Prozess der
Entscheidungsfindung automa-
tisch auf eigentlich irrelevante
Faktoren wie zum Beispiel sein
Vorwissen zurück. Ist ein Spieler
in einer Saison schon drei Mal vom
Platz gestellt worden, traut ihm
der Schiedsrichter eher eine Tät-
lichkeit zu als einem in der Ver-
gangenheit unauffälligen Akteur.
Nach dem Motto: „Man kennt ja
seine Pappenheimer.“
Wie sehen Ihre Empfehlungen für
die Schiedsrichter aus?
Reichel:
Es muss eine allgemeine
Sensibilisierung bei allen Beteilig-
ten stattfinden. So muss sich der
Schiedsrichter bewusst machen,
welche eigenen Vorurteile er hat
und diese selbst überdenken. Auf
Wie eine „interkulturelle“ Begegnung letztlich abläuft, hängt
auch von der Einstellung des Schiedsrichters gegenüber den
Spielern ab.
dem Platz sind ein offener
Umgang und eine offene Kommu-
nikation gegenüber den Spielern
meist der Schlüssel zum Erfolg. In
türkischen Vereinen zum Beispiel
hat das Alter eines Spielers eine
hohe Bedeutung für das Ansehen
innerhalb der Mannschaft. Deshalb
sollte der Schiedsrichter versu-
chen, zu diesen älteren Spielern
eine Bindung aufzubauen. So kann
er die Akzeptanz des ganzen
Teams gewinnen.
In einer Ausgabe der Schiedsrich-
ter-Zeitung aus dem Jahr 2007
werden Handlungsempfehlungen
gegeben, wie man als Unpartei-
ischer mit ethnisch verschiedenen
Mannschaften umgehen sollte,
zum Beispiel „mehr als sonst auf
verbale Aggressionen achten“ und
das Spiel „eher kleinlich leiten“...
Reichel:
Es wird dabei eine konse-
quente und strenge Spielleitung
empfohlen. Ich zweifle jedoch an,
dass bei den erwähnten „heißblü-
tigen Südländern“ disziplinarische
Maßnahmen wie das Aussprechen
von Gelben und Roten Karten
sowie eine strenge Vorteilausle-
gung – das Spiel nicht „laufen las-
sen“, sondern die „Zügel anzie-
hen“ – die richtigen Maßnahmen
zur Prävention sind. Vielleicht
wird gerade dadurch ein weiterer
Grund für Hektik oder Eskalation
künstlich produziert.
In Ihrer Magisterarbeit wird auch
der Körperkontakt mit Spielern
auf dem Platz thematisiert...
Reichel:
Dieser hat in anderen
Kulturen eine höhere Bedeutung
als bei uns. Es ist doch nichts
dabei, einem Spieler mal die Hand
zu geben, zum Beispiel bei einer
Auswechslung. Das schafft Nähe,
lockert die Atmosphäre auf dem