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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 3 / 2 0 1 2
Analyse
erst nicht entstehen. Es ist sicher-
lich nicht übertrieben zu behaup-
ten: Je tiefer die Spielklasse, desto
vorsichtiger sollte man die Vorteil-
Bestimmung anwenden.
22.
SPIELTAG
■
Hamburger SV – Werder Bremen
„
Als Ballbesitz durch den Torhüter
gilt auch, wenn er den Ball absicht-
lich von der Hand oder vom Arm
abprallen lässt.“ Diese Passage aus
der Regel 12 ist Torhüter Wiese
wohl entfallen, als er völlig unbe-
drängt den Ball kurz vor der
Grundlinie von der linken Hand
abklatschen lässt
(
Foto 9a)
–
eine
kontrollierte Aktion, die regeltech-
nisch eben als Ballbesitz zählt.
Danach darf ein Torwart den Ball
erst wieder mit der Hand spielen,
wenn ihn ein anderer Spieler
berührt hat.
Wiese aber stellt sich hinter den
am Boden liegenden Ball und war-
tet, um ein bisschen Zeit zu schin-
den, bis ein Angreifer zu ihm läuft.
Dann nimmt er den Ball auf
(
Foto 9b)
–
und hört im nächsten
Moment den Pfiff von Schiedsrich-
ter Thorsten Kinhöfer. Der ver-
hängt völlig zu Recht einen indi-
rekten Freistoß. Der Werder-Tor-
wart ist konsterniert, weshalb ihm
der Schiedsrichter seinen Fehler
kurz erläutert und anzeigt, dass er
den Ball zwei Mal mit der Hand
gespielt hat.
Ergänzt sei noch dies: Nicht als
Ballbesitz gilt selbstverständlich,
„
wenn der Ball zufällig vom Torhü-
ter wegspringt, zum Beispiel nach
einer Parade“, wie es im Regeltext
heißt. Gemeint ist natürlich sein
Arm inklusive der Hand.
24.
SPIELTAG
■
Hamburger SV – VfB Stuttgart
Es läuft die 54. Minute, der HSV
liegt mit 0:3 zurück. Ein von
Angreifer Guerrero abgefälschter
Ball fliegt Richtung Eckfahne.
Stuttgarts Torwart Ulreich läuft
zum Ball, um ihn ins Aus zu
„
begleiten“. Was er nicht sieht:
Guerrero rennt in hohem Tempo
hinter ihm her und springt Ulreich
mit gestrecktem Bein und offener
Sohle vehement gegen die linke
Wade
(
Foto 10)
.
Dass der Torwart
dabei nicht schwer verletzt wird,
liegt wohl nur daran, dass er zu
dem Zeitpunkt sein Gewicht auf
dem anderen Bein hat.
Das spielt aber für die Strafzu-
messung keine Rolle. Eine derar-
tig gesundheitsgefährdende
Spielweise, die eine sehr schwere
Verletzung zur Folge haben kann
und einzig und allein gegen den
Gegenspieler gerichtet ist, muss
vom Schiedsrichter zwingend mit
„
Rot“ bestraft werden. Peter Sip-
pel ist im Höchsttempo am „Tatort“
und zieht schon im Heranlaufen
die Rote Karte aus der Tasche. Das
ist in solch einem Fall von bruta-
lem Spiel durchaus sinnvoll. Denn
es signalisiert den ebenfalls hin-
zueilenden Mitspielern des Tor-
warts, dass die Strafe sofort
erfolgt und keinerlei Versuche
von Selbstjustiz notwendig sind.
25.
SPIELTAG
■
1.
FC Köln – Hertha BSC Berlin
Aus diesem äußerst schwierigen
Spiel sind gleich drei Szenen auf-
zuarbeiten. Zwei davon wurden
von Guido Winkmann und seinem
Team erstklassig gelöst, die dritte
leider nicht. Dass der Ablauf die-
ser letzten Szene im öffentlichen
Gedächtnis bleibt und die Auflö-
sung der beiden anderen kniffli-
gen Situationen als selbstver-
ständlich angesehen wird und
deshalb schnell in Vergessenheit
gerät, ist schon immer das Los
der Schiedsrichter gewesen.
Szene 1:
Nach einer Flanke von
rechts köpft der Kölner Peszko,
schon im gegnerischen Strafraum,
den Ball ins Angriffszentrum. Zeit-
gleich stehen Podolski auf der
Torraumlinie und Brecko weit
rechts außen im Abseits
(
Foto 11a)
.
Als Podolski sich kurz Richtung
Ball orientiert, hätte der Assistent
Abseits winken können. Er ver-
zichtet jedoch vertretbar darauf,
da Berlins Abwehrspieler Hubnik
etwa vier Meter von Podolski ent-
fernt versucht, den Ball aus der
Gefahrenzone zu schlagen. Er
trifft zwar im Sprung den Ball
(
Foto 11b)
,
aber der landet direkt
beim Kölner Brecko, der sich ja
gerade noch im Abseits befunden
hat.
Dieses Bild spricht für sich.
…
und nimmt ihn Momente später in die Hand.
Torwart Wiese klatscht den Ball ab …
Hubnik rennt zu de Camargo, Torwart Kraft schaut zu.
Foto 8b
Foto 9a
Foto 9b
Foto 10