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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 3 / 2 0 1 2
So etwas tut richtig weh
Lutz Wagner und Lutz Lüttig beginnen ihre Rückschau auf lehrreiche Szenen aus der Bundesliga
mit einem Vorfall bei einem Spiel in Kaiserslautern, der Schmerzen auslöste. Die waren für die
Beteiligten allerdings unterschiedlicher Art.
Analyse
18.
SPIELTAG
1.
FC Kaiserslautern – Werder
Bremen
Es läuft die 25. Minute, Werder
Bremen ist im Angriff. Die Situa-
tion, die gerade entsteht, hat meh-
rere Hauptpersonen: einen Stür-
mer, der versucht, den Ball im
eigenen Torraum mit einem Fall-
rückzieher zu klären; einen
Abwehrspieler, der den Ball im
gegnerischen Torraum köpfen will;
sowie einen Schiedsrichter und
einen Assistenten, die trotz aller
Absprachen vor dem Spiel bei der
Bewertung des Vorgangs zu einem
falschen Urteil kommen.
Die Fakten: Es ist ein klarer Tritt
des Lauterers Kouemaha, der mit
seinem Fuß Werder-Abwehrspieler
Sebastian Prödl im Gesicht trifft,
unmittelbar nachdem er den Ball
weit über Kopfhöhe in nahezu
artistischer Art und Weise wegge-
schlagen hat
(
Foto 1)
.
Dadurch
wird aus dem „Gefährlichen Spiel“,
das einen indirekten Freistoß zur
Folge gehabt hätte, ein Foul, das
mit einem direkten Freistoß zu
bestrafen ist; in diesem Fall –
innerhalb des Strafraums – mit
Strafstoß.
Dass ein „Gefährliches Spiel“
durch einen Körperkontakt zum
Verbotenen Spiel wird, kommt
nicht sehr häufig vor. Das ist viel-
leicht ein Grund dafür, dass sich
manche Schiedsrichter scheuen,
die in einem solchen Fall notwendige
Spielstrafe auszusprechen und
sich lieber auf den indirekten Frei-
stoß „zurückziehen“. Die Persönli-
che Strafe muss in der geschilder-
ten Szene eine Gelbe Karte sein, da
das Treten nach dem Ball „rück-
sichtslos“ (Wortwahl der FIFA für
eine zwingende Verwarnung) ist.
Rot“ kommt hier nicht in Frage,
da der Angriff von Kouemaha dem
Ball gilt.
Die TV-Bilder zeigen, dass der
Schiedsrichter seine Pfeife zum
Mund führt, zum Assistenten blickt,
aber den Pfiff dann doch unter-
lässt. Dabei gilt wie in allen
Lebenslagen, in denen rasche Ent-
scheidungen getroffen werden
müssen, auch für Schiedsrichter in
den allermeisten Fällen dieses
ungeschriebene Gesetz: Der erste
Gedanke ist immer der beste.
Dass ein solch missglückter Ablauf
den Schiedsrichter – und auch sei-
nen Assistenten, der eine sehr
gute Sicht hatte – schmerzt, liegt
auf der Hand. Immer wieder geht
ihnen diese Szene durch den Kopf,
immer wieder dieselbe Frage:
Warum haben wir das nicht
erkannt? Diese Art von Schmerz,
den jeder Schiedsrichter schon
einmal erlebt hat, ist allerdings
gering im Vergleich zu dem des
getroffenen Spielers: Prödl trug
einen doppelten Kieferbruch
davon und fiel wochenlang aus.
19.
SPIELTAG
Ein Handspiel festzustellen, ist
meistens gar nicht schwierig.
Zuschauer und Spieler liegen sehr
oft richtig mit dem Ruf: „Hand!“
Aber das allein reicht als Kriterium
für einen Pfiff nicht aus. Der Schieds-
richter muss neben der Tatsache
an sich in Sekundenbruchteilen
entscheiden, ob dieses Handspiel
zu bestrafen ist oder nicht. Gleich
zwei Mal ist das an diesem Spiel-
tag ganz schön knifflig.
Hertha BSC Berlin –
Hamburger SV
Im Olympiastadion schießt der
Berliner Niemeyer aus zwölf
Metern aufs Tor. Unmittelbar vor
ihm wendet sich HSV-Abwehrspie-
ler Bruma nach rechts ab, um den
Ball nicht in den Magen oder ins
Gesicht zu bekommen. Dabei
schwingt sein rechter Arm mit und
wird nun sozusagen „hinterrücks“
vom Ball getroffen
(
Foto 2)
.
Foto 1
Kouemaha trifft mit seinem viel
zu hohen Bein Prödl im Gesicht.
Niemeyer schießt aufs Tor und trifft die Hand des sich abdre-
henden Bruma.
Foto 2