16
S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 3 / 2 0 1 2
Lehrwesen
Vorbeugen ist besser a
Dass Schiedsrichter immer nur auf das reagieren können, was Spieler tun, ist eine Binsenweisheit – ab
das Erscheinen des DFB-Lehrbriefs Nr. 42 zum Anlass, auf den Zusammenhang zwischen präventivem V
von Verletzungen hinzuweisen.
B
eginnen wir heute einmal mit
einem älteren Zitat aus dem
Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“
über einen Fußballspieler: „Um den
Rasen-Akrobaten zu bremsen,
brachten ihn Abwehrspieler unfair
zu Fall, oder sie stoppten ihn durch
brutale Tritte. 1956 zog er sich eine
Hüftverletzung zu. Aber Ehrgeiz
und Klub-Anhänglichkeit trieben
ihn noch im Stützkorsett aufs Fuß-
ballfeld. Rempler und Stürze verur-
sachten 1957 einen schmerzhaften
Bandscheiben-Schaden.“
Die Rede ist hier von Uwe Seeler,
dem Ehrenspielführer unserer
Nationalmannschaft. Schon zu
Beginn seiner beeindruckenden
Karriere und auch später musste
er mit Verletzungen zurechtkom-
men, die zu einem Teil auch sei-
nem Spielstil geschuldet waren.
Seeler war ein Mittelstürmer alter
Schule, der sich von nichts und
niemandem davon abbringen ließ,
den Ball irgendwie im gegneri-
schen Tor unterzubringen. Dabei
musste er enorm viel von seinen
Gegenspielern einstecken, die
sich gegen den Hamburger häufig
einfach nicht anders zu helfen
wussten.
Nun steht es uns nicht zu, aus der
zeitlichen Entfernung zu beurtei-
len, ob Uwe Seeler immer den aus-
reichenden Schutz der Schieds-
richter genossen hat. Bis heute
unvergessen sind jedenfalls seine
Einstellung – er jammerte nie – und
sein unbedingter Wille, alles für
den Erfolg des HSV und der National-
mannschaft hinzunehmen.
Doch während Uwe Seeler selbst
nach schweren Verletzungen
immer wieder den Weg zurück zum
Fußball fand, bedeutet für viele
Spieler der Bruch des Schienbeins,
die schwere Gehirnerschütterung
oder die komplizierte Schulterver-
letzung manches Mal schon das
Ende der Fußballkarriere. Sie sind
dann froh, wenn sie nach langer
Verletzungspause wenigstens wie-
der ihre berufliche Tätigkeit auf-
nehmen können.
Diese Fußballspieler gehören zu
den rund 40 Millionen Menschen,
die in Deutschland regelmäßig
Sport treiben, und damit ihre
Gesundheit fördern und erhalten
wollen. Ihnen ist meist aber auch
bewusst, dass Training und Wett-
kampf in vielen Sportarten das
Risiko einer mehr oder weniger
schweren Verletzung in sich tragen –
egal, ob bei Profis oder Amateu-
ren.
Im Fußball vertrauen sie auf die
grundsätzliche Fairness der
Gegenspieler und auf den Schutz
durch den Schiedsrichter. Nun
kann der zwar keinen Muskelfaser-
riss im Oberschenkel verhindern,
der einen Spieler mangels Fitness
ereilt. Aber er kann starken Ein-
fluss auf den Charakter des Spiels
und damit auf das Verhalten der
Spieler nehmen. Zum einen geben
ihm die Regeln allerlei Möglichkei-
ten an die Hand. Neben den Spiel-
strafen „Freistoß“ und „Strafstoß“
kann er mit Ermahnungen, Verwar-
nungen und Feldverweisen gegen
fahrlässiges, übermäßig hartes
oder rücksichtsloses Spielen vor-
gehen. Mit einer mutigen Anwen-
dung dieser Sanktionsmöglichkei-
ten kann er ein deutliches Zeichen
setzen und präventiv auf den Fort-
gang des Spiels einwirken. „Das
lasse ich nicht durchgehen!“, sig-
nalisiert den Spielern, wo der
Schiedsrichter die Grenzen zieht.
Es ist eminent wichtig, die fair
spielenden Akteure vor gesund-
heitsgefährdenden Aktionen ihrer
Torgefährliche Spieler sind oft besonders verletzungsgefähr-
det: Uwe Seeler wird Anfang der 60er-Jahre in einem Meister-
schaftsspiel der Oberliga Nord vom Platz getragen. Unten:
1966
muss ihn DFB-Masseur Erich Deuser im WM-Halbfinale
gegen die UdSSR behandeln. Torwart Lew Jaschin schaut zu.