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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 3 / 2 0 1 2
Zeitreise
Mom ntaufnahme
Neuendorf (Hertha) die Conte-
nance“, schrieb der Fotograf der
Agentur Contrast zu diesem Foto.
Ein anderer, der dieselbe Situation
fotografiert hatte, beschrieb sein
Bild so: „Andreas ,Zecke’ Neuen-
dorf (Hertha) könnte ob der Souve-
ränität von Linienrichter Sönke
Glindemann ausflippen.“ Das trifft
es schon ziemlich genau.
Was macht man also, Sönke, wenn
in so einer kniffligen Situation ein
Spieler wie ein Irrwisch auf dich
zurennt? „Du musst ihm über
deine Körpersprache signalisieren,
dass du dir ganz sicher bist, richtig
entschieden zu haben.“ Klingt
eigentlich ganz einfach, und als
Berufssoldat weiß Sönke Glinde-
mann besonders gut, wie wichtig
es ist, Haltung zu bewahren. Also
spricht der Körper so: Die Füße
bleiben fest auf dem Boden, es
wird kein Fußbreit nach hinten
gewichen. Der Körper ist gestrafft,
der Gesichtsausdruck neutral, die
Augen sind auf den Ort des
Geschehens gerichtet. Die Abseits-
anzeige mit der Fahne entspricht
genau der Anweisung.
Das blieb in diesem Fall auch so,
als der Spieler dem Assistenten
sehr, sehr nahe kam. „Ich habe
natürlich in solchen Momenten
einen ganz schönen Vorteil“, sagt
Sönke, „ich bin 1,95 Meter groß.“
Das hilft ihm enorm, Souveränität
und Ruhe auszustrahlen. Neuen-
dorf (1,78 Meter) hatte sich extra
auf die Zehenspitzen gestellt, und
dennoch reichte er mit seinen
Augen nur bis zum Kinn von Sönke
Glindemann – Blickkontakt in die-
sem Moment ausgeschlossen.
Das war gut, denn sich gegenseitig
anzuschauen, fördert grundsätz-
lich die Bereitschaft zum Dialog.
Der ist in solch hochemotionalen
Situationen aber immer sinnlos,
denn er erschöpft sich darin, dass
die Beteiligten gleichzeitig reden –
manches Mal auch brüllen –, um
den anderen von der Richtigkeit
der eigenen Auffassung zu über-
zeugen. Ein solches „Gespräch“,
wie es leider noch viel zu oft zu
sehen ist, führt eben nicht zum
gegenseitigen Verstehen, sondern
vor allem beim Spieler dazu, die
Emotionen womöglich noch höher
kochen zu lassen.
Ein souveräner Unparteiischer
lässt sich von einem aufgeregten
Spieler kein Gespräch aufzwingen,
er bleibt ruhig und gelassen. Es
war dann auch die erkennbare
Unerschütterlichkeit des Assisten-
ten, die die Situation vor allem
entschärfte. Zudem kam Schieds-
richter Peter Gagelmann dazu und
holte den Berliner Spieler mit
einer Gelben Karte wieder auf den
Boden der Tatsachen.
Auch noch an etwas anderes
erinnert sich Sönke Glindemann:
„
Ich habe im Zusammenhang mit
dieser Szene erlebt, wie es ist,
wenn die Boulevard-Presse dich
aufs Korn nimmt. Schiedsrichter
Blindemann gibt Fehler zu, hieß
eine Überschrift.“ Heute kann
Sönke darüber lächeln: „Das war
doch sehr kreativ von dem Journa-
listen, mit meinem Namen ein
solch unglaublich einfallsreiches
Wortspiel zu machen. Aber im
Ernst: Ich habe damals daraus
einiges gelernt, vor allem vorsich-
tiger im Umgang mit den Medien
zu sein. Du musst darauf bestehen,
dass sich der Journalist die Zitate,
die er benutzen will, von dir autori-
sieren lässt.“
Und noch einmal beschäftigte den
Assistenten diese Szene: „Als wir
uns das nächste Mal bei einem
Spiel getroffen haben, sind wir die
Sache noch mal durchgegangen.
„
Zecke“ Neuendorf hat sich für
seine Schreierei entschuldigt, und
ich habe ihm gesagt, wie sehr ich
mich im Nachhinein über den Feh-
ler geärgert habe. Damit war die
Sache zwischen uns vom Tisch.“
Sieben Jahre und viele wichtige
Spiele später ist Sönke Glinde-
mann in der letzten Kurve seiner
aktiven Schiedsrichter-Assisten-
ten-Laufbahn angekommen. Mehr
als 200 Bundesliga-Spiele wird der
Oberstabsfeldwebel am Ende die-
ser Saison als gewissenhafter
Assistent begleitet haben, 22 Län-
derspiele und 37 Einsätze in der
Champions und Europa League
kann er verzeichnen.
Und beim größten Fest des deut-
schen Fußballs war er auch aktiv:
Er half 2009 Helmut Fleischer beim
DFB-Pokalfinale Werder Bremen
gegen Bayer Leverkusen (1:0) im
völlig ausverkauften Olympiasta-
dion von Berlin. „Ein unvergessli-
ches Erlebnis“, sagt Sönke Glinde-
mann und meint nicht nur das
Spiel, sondern auch „das ganze
Drum und Dran“.
Die 90 Spielminuten dieses Finales
verbrachte er übrigens an genau
derselben Außenlinie wie beim
Spiel Hertha BSC gegen den 1. FC
Kaiserslautern vier Jahre zuvor. So
gleicht sich auch für einen Unpar-
teiischen im Laufe der Zeit vieles
wieder aus .
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Kein Argument stimmt ihn um: Der Assistent signalisiert wei-
ter, dass er sich ganz sicher ist.
„
Zecke“ Neuendorfs Wutanfall wird von Schiedsrichter Gagel-
mann konsequent mit „Gelb“ bestraft.