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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 2 / 2 0 1 2
Andere Zeiten, andere Zeichen
Am 30. Juli 1930 leitete John Langenus in Montevi-
deo das Finale der ersten Fußball-WM in souveräner
Manier, Gastgeber Uruguay besiegte den Nachbarn
Argentinien 4:2. Eines von vielen wichtigen interna-
tionalen Spielen, die der polyglotte belgische
Schiedsrichter in den 20er- und 30er-Jahren leitete.
Seine überragende Rolle in der damaligen Zeit wird
auch dadurch dokumentiert, dass er bereits das
Halbfinale Argentinien – USA (6:1) gepfiffen hatte.
Mit seiner Körpergröße von 1,90 Metern war der
hauptberufliche Journalist eine beeindruckende
Erscheinung, die noch dadurch verstärkt wurde,
dass er stets mit dunklem Sakko, weißem Hemd, Kra-
watte und Knickerbockern zu seinen Spielen antrat.
Nach heutigen Maßstäben war seine Kleidung ein
Kuriosum, aber sie verdeutlichte die Tatsache, dass
damals Schiedsrichter eher als Respekt gebietende
Funktionäre daherkamen und noch nicht so sehr als
Sportler.
Und wie war das damals mit dem „Teamplay“? Nun,
die Linienrichter waren noch weit vom heutigen
Assistenten-Status entfernt, sie hatten wirklich nur
die „Linie zu richten“, also anzuzeigen, dass der Ball
im Aus war. Welche Mannschaft das Spiel fortsetzen
durfte, entschied der Schiedsrichter, genauso wie
über strafbares Abseits. Und über Foul- und absicht-
liches Handspiel sowieso.
Schon die Zusammensetzung des Schiedsrichter-
Teams für dieses WM-Finale würde heute wohl für
reichlich Stirnrunzeln sorgen. Denn Ulises Saucedo
aus Bolivien, als Linienrichter 1 nominiert, war
zugleich der Trainer der bolivianischen Nationalelf,
die ebenfalls an dem WM-Turnier teilnahm. Fünf Mal
kam er in Uruguay als Linienrichter zum Einsatz; das
6:3
der Argentinier gegen Mexiko leitete Saucedo als
Schiedsrichter. Am nächsten Tag saß er dann im sel-
ben Stadion, dem Centenario von Montevideo, beim
0:4
seiner Bolivianer gegen Brasilien als Trainer auf
der Bank.
Die vielen „politischen“ Kopfschmerzen, die man
sich heute bei der Schiedsrichter-Ansetzung von
WM-Spielen machen muss oder will, waren damals
wohl gänzlich unbekannt. Genauso wie eine einheit-
liche Kleidung der Teams. Während John Langenus
in seinem wohlbekannten Outfit antrat, trug sein
Landsmann Henry Christoph als Linienrichter 2 ein
schwarzes Jackett und eine ebensolche knielange
Hose.
Aber besonders fiel auch hier Ulises Saucedo auf. Er
trug den offiziellen Anzug der bolivianischen Mann-
schaft, mit dem er eher einem Tennis-Schiedsrichter
glich. Zu Spielbeginn legte er dann sein Jackett ab
und ging seiner Tätigkeit an der Linie ganz in Weiß
nach. Zu sehen ist das unter der Internetadresse
-
ture=related in einem rund sechs Minuten langen
Beitrag über das WM-Finale 1930.
Zu erkennen ist dort in kurzen Sequenzen auch,
dass die Linienrichter die gesamte Linie entlanglie-
fen, also nicht nur bis zur Mittellinie – mit dem Fest-
stellen von Abseitspositionen hatten sie ja nichts zu
tun. Zudem sieht man, wie Saucedo beim vierten Tor
Uruguays anerkennend seine Fahne schwenkt, eine
Geste, die heute das Gegenteil bedeutet.
Andere Zeiten, andere Zeichen…
Teamplay vor 82 Jahren
WM-Finale 1930: Schiedsrichter John Lan-
genus und seine Linienrichter Henry Chris-
toph (links) sowie Ulises Saucedo beobach-
ten die Begrüßung der Kapitäne. Saucedo
legte bei Spielbeginn sein Jackett ab und
amtierte in blütenweißer Kleidung.
Wie sieht für Sie gutes „Team-
play“ zwischen Schiedsrichter
und Assistenten aus?
Jochen Drees:
Entscheidend ist
die Einstimmung des gesamten
Teams auf das gemeinsame Ziel
einer optimalen Spielleitung,
unabhängig von der Funktion des
Einzelnen. Dazu gehört auch, dass
der Schiedsrichter als zentrale
Figur anerkannt wird und die
Assistenten ihre Entscheidungs-
gestaltung an die Linie anpassen,
die von ihm vorgegeben wird.
Denn letztlich steht er für die
gesamte Teamleistung in der Ver-
antwortung.
Welchen Stellenwert hat diese Art
der Zusammenarbeit für die
erfolgreiche Leitung eines
Bundesligaspiels?
Drees:
Sie ist die unabdingbare
Voraussetzung. Macht einer im
Team entscheidende, das Spiel
beeinflussende Fehler, so „leidet“
das gesamte Team darunter. Von
daher ist für mich als Schiedsrich-
ter die erfolgreiche Arbeit des
gesamten Teams entscheidend für
die äußere mediale Wahrneh-
mung. Sollte ich ein gutes Spiel
abliefern, aber zum Beispiel eine
wichtige Abseits- oder Zwei-
kampf-Entscheidung durch den
Assistenten falsch sein, fällt das
in der externen Bewertung stets
auf mich zurück. Insofern kann
nur das Team als Ganzes erfolg-
reich sein.
Wie unterscheidet sich die Abspra-
che vor einem Bundesliga-Spiel
von der Absprache vor einem Ver-
bandsliga-Spiel?
Drees:
In den Grundzügen ist sie
für das Team in seiner höchsten
Leistungsklasse – egal ob Ver-
2005
in die Bundesliga auf und hat
geleitet.
bandsliga oder Bundesliga –
sicherlich ähnlich. In der Bundes-
liga kommen noch mehr äußere
Gegebenheiten in der Absprache
zum Tragen, wie zum Beispiel das
Publikum. Auch mediale Themen
wie das Spieler- und Trainerverhal-
ten in der jüngsten Vergangenheit
sowie Vorgänge aus den Szenen
unseres Videoportals spielen eine
Rolle. Darüber hinaus diskutieren
wir auch wichtige Situationen aus
den eigenen Spielen. Letztlich
trägt die Absprache im Rahmen
der Platzbegehung bei mir vor
allem zu einer Art rituellen Ein-