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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 2 / 2 0 1 2
Titelthema
schwachen Spurtvermögens
nicht auf der Höhe des vorletz-
ten Abwehrspielers.
Hektik: Der Assistent hebt zu
früh die Fahne bei Abseits-Ent-
scheidungen oder zwingt dem
Schiedsrichter „Foul“-Anzeigen
in Situationen auf, die von die-
sem besser zu beurteilen sind.
Für Marcel Schütz und sein Team
läuft es an diesem vorweihnacht-
lichen Nachmittag in Trier erfreu-
lich rund: Zur Pause führt die Gast-
mannschaft 2:0, Persönliche Stra-
fen hat der Schiedsrichter noch
keine ausgesprochen. „Oder war
das Foulspiel kurz vor der Halbzeit-
pause etwa doch taktisch?“, fragt
Marcel seine Assistenten beim
Pausengetränk in der Kabine. Fin-
den die beiden nicht.
Die Meinung seines Teams ist für
den Schiedsrichter sehr wichtig,
um eine ehrliche Einschätzung sei-
ner Leistung zu bekommen: Laufe
ich richtig und genug? Ist die Zwei-
kampf-Bewertung in Ordnung? Wie
verhalten sich die Trainerbänke
bisher?
Nur eine ehrliche Halbzeit-Analyse
optimiert die Zusammenarbeit für
die zweiten 45 Minuten, Fehler
werden offen angesprochen: „Bei
einer Abseits-Entscheidung hatte
ich die Fahne zu früh oben, der
Stürmer konnte gar nicht an den
Ball kommen“, erkennt Marcel
Tiedtke selbstkritisch. Seinem
Schiedsrichter rät er, die Laufwege
in der zweiten Hälfte weiter bis in
die Strafräume hinein durchzuzie-
hen.
Wie wichtig es ist, dass sowohl der
Schiedsrichter als auch die Assis-
tenten bis zum Schlusspfiff hoch-
konzentriert ihrer Aufgabe nach-
kommen, zeigt sich heute in der
87.
Minute: Obwohl das Spiel bis
dahin völlig fair verläuft, trifft ein
Völklinger Spieler im Zweikampf
den Gegenspieler mit offener
Sohle im Unterleibsbereich. Marcel
Schütz pfeift sofort, lässt sich aber
Zeit mit der Aussprache einer Per-
sönlichen Strafe. Währenddessen
hat Bruder Christoph längst den
Daumen auf dem Piepser der Funk-
fahne. Das ist das abgesprochene
Zeichen dafür, dass der Assistent
der Meinung ist, dass an diese
Stelle eine Rote Karte gehört –
womit er die Einschätzung von
Marcel bestätigt: Der schickt den
Völklinger Spieler vom Feld.
Den „Big Point“ des Spiels haben
sie im Team gemacht: So ist es
kein Wunder, dass Beobachter
Hans Croy in der Spielanalyse die
harmonische Zusammenarbeit“
der drei Unparteiischen hervor-
hebt. Ein Blickkontakt hier oder ein
kurzes Kopfnicken dort haben für
eine klare Verständigung ausge-
reicht und zu einer prima Außen-
wirkung beigetragen. Als die drei
Schiedsrichter später wieder unter
sich sind, können sie sich gegen-
seitig auf die Schulter klopfen:
Grundsätzlich ist heute alles so
gelaufen, wie wir es uns vor dem
Spiel vorgenommen hatten“, bilan-
ziert Marcel Schütz zufrieden.
Weil es aber in jeder Spielleitung
etwas zu verbessern gibt, wird im
Lehrbrief auch die kritische Nach-
betrachtung unabhängig von der
Analyse durch den Beobachter
thematisiert: „Es ist unbedingt
notwendig, dass im Team, mit eini-
gem Abstand und in aller Ruhe, die
Zusammenarbeit besprochen wird.
Jeder der Beteiligten muss, ausge-
hend von dem Vertrauen unterein-
ander, Positives wie Negatives
ansprechen.“ Unstimmigkeiten
dürften auf gar keinen Fall – nach
dem Motto „das läuft sich schon
zurecht“ – unter den Tisch gekehrt
werden. Die Absprache vor dem
Spiel und eine selbstkritische Ana-
lyse danach müssen in jeder Spiel-
klasse und in jedem Team erfol-
gen.
Für heute aber ziehen Marcel
Schütz, sein Bruder Christoph und
Marcel Tiedtke einen Schlussstrich
unter die Spielleitung. Der Fußball
ist für diesen Sonntag abgehakt,
während der Rückfahrt wird über
private Dinge gesprochen und mit-
einander gescherzt. Denn auch das
ist ein Teil des „Teamplays“, wie es
der Lehrbrief formuliert: „Inner-
halb eines Schiedsrichter-Teams
muss unabhängig von der Spiel-
klasse eine Gemeinschaft beste-
hen, die als Grundlage für eine
gute Zusammenarbeit zu sehen
ist.“
Die Bausteine dafür sind Vertrauen
und Verständnis – eigentlich wie
im richtigen Leben.
Der Schieds-
richter gibt
die Linie vor“
Auf welche Aspekte der Zusammen-
arbeit es in den Profiligen
besonders ankommt, erfuhr David
Bittner im Interview mit Bundes-
liga-Schiedsrichter Dr. Jochen
Drees.
Auch eine Teamarbeit: Marcel Schütz und sein Bruder
Christoph (links) füllen den elektronischen Spielbericht aus.
Analyse: Beobachter Hans Croy gibt Tipps und Hinweise zum
abgelaufenen Spiel.
Dr. Jochen Drees (41): DerArzt stieg
dort bis zur Winterpause 86 Spiele