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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 2 / 2 0 1 2
Sozialistischer Fußball: Blumen- und Wimpeltausch unter den
Augen von Gerhard Schulz und Lenin.
Die Ermittlungen gegen Gerhard Schulz im Jahr 1954 waren als
geheime Verschluss-Sache (GVS) gekennzeichnet.
Quelle: BStU
von der Sportvereinigung Traktor
sowie auch die Sekretärin der Fuß-
ballwoche,
(
Name geschwärzt),
laufend heranzieht.“ Zudem wird
angenommen, dass Schulz ein Ver-
bindungsmann des DFB sei.
Mindestens ein Jahr lang versucht
nun ein Stasi-Leutnant namens
Schirmer Genaueres über die
„
undurchsichtigen Tätigkeiten“
von Gerhard Schulz herauszufin-
den. Zur Hand gehen ihm dabei
nach der Aktenlage zum einen eine
„
Geheime Informatorin“ (GI), wie
die inoffiziellen Mitarbeiter der
Stasi damals noch bezeichnet wer-
den, die sich den Decknamen
„
Petra Thieme“ gegeben hat. Dabei
handelt es sich um eine enge Mit-
arbeiterin von Schulz beim ZSK
Vorwärts. Sie erscheint zum Bei-
spiel als „Überraschungsgast“ bei
der Geburtstagsfeier von Ruth
Schulz, der Ehefrau von „Gesch“,
in deren neuer Wohnung in der
Parkstraße in Berlin-Pankow. Sie
hat den Auftrag herauszufinden,
wer dort zu Besuch ist, worüber
gesprochen wird und schreibt es
unter ihrem Decknamen für die
Stasi auf.
Und zum anderen trifft sich Leut-
nant Schirmer auch mehrere Male
mit einem Ehepaar
(
Name in der
Akte geschwärzt),
das nach den
Berichten zu urteilen eifrig ziem-
lich Belangloses erzählt und darü-
ber eine Schweigeverpflichtung
unterschreibt. An einer Stelle
notiert der Leutnant, dass der
Mann ebenfalls Schiedsrichter ist
und Stellvertreter von Schulz war.
Nicht schwer zu erraten, um wen
es sich dabei handelt.
Ein Jahr lang dauert die Schnüffe-
lei, für den Zeitraum von Februar
1955
bis September 1961 finden
sich dann keine weiteren Unterla-
gen in der Akte. Ob sie vernichtet
worden sind oder der „operative
Vorgang“ gegen Schulz eingestellt
wurde, lässt sich nicht feststellen.
Auswirkungen auf sein Leben
scheint die Sache nicht gehabt zu
haben, denn Gerhard Schulz geht
seinen beiden Tätigkeiten als
Schiedsrichter und Jugendleiter
weiter nach.
***
So leitet er am 27. Mai 1955 in War-
schau ein B-Länderspiel zwischen
Polen und Rumänien, das die Gäste
mit 1:0 gewinnen. Ein guter Test für
sein Spiel des Jahres, das drei
Wochen später stattfindet.
Obwohl erst zum fünften Mal um
den FDGB-Pokal gespielt wird,
pfeift Gerhard Schulz am 19. Juni
schon zum zweiten Mal das End-
spiel. 18.000 Zuschauer sind im
Leipziger Bruno-Plache-Stadion
dabei, als der SC Wismut Karl-
Marx-Stadt den SC Empor Rostock
3:2
nach Verlängerung besiegt.
Der Berichterstatter der Zeitschrift
„
Sport im Bild“ ist nicht nur von
dem spannenden Spiel begeistert.
Er schreibt vom „großartigen
Schiedsrichter Gerhard Schulz, der
das Endspiel um den Pokal des
FDGB in keiner Phase seines packen-
den und dramatischen Ablaufs
ausarten ließ“ und nennt ihn den
„
Berliner Meister-Schiedsrichter“.
Und auch ins westliche Ausland
darf Schulz trotz der Stasi-Ermitt-
lungen fahren: Anfang September
schickt die Sektion Fußball der DDR
Gerhard Schulz zu einem FIFA-
Seminar in die Schweiz. Es geht
um die Ausbildung von Funktionä-
ren, die man heute im FIFA-Deutsch
„
Instruktoren“ nennt. Unter der
Leitung von Stanley Rous, dem
späteren FIFA-Präsidenten, nimmt
auch Carl Koppehel, der Begründer
der DFB-Schiedsrichter-Zeitung, an
der Maßnahme teil.
***
Gut beschäftigt ist der umtriebige
Mann nach wie vor. In der Chronik
„
Fußballclub Vorwärts 1951 – 1991“
ist zu lesen: „Unter der Federfüh-
rung von Gerhard Schulz wurde im
Juni 1955 beim ZSK Vorwärts die
Nachwuchsabteilung ins Leben
gerufen. Gemeinsam mit Franz
Reetz und Walter Kaßbohm wurden
in den unterschiedlichsten Alters-
klassen leistungsstarke Fußball-
Teams aufgestellt. Die Talente von
den Knaben bis zu den Junioren
kamen aus ganz Berlin und dem
Umland. Die Arbeit der vielen
erfahrenen Trainer und Betreuer
zahlte sich bald aus.“
Vorwärts-Legende Karl-Heinz
Spickenagel, damals schon Natio-
nal-Torwart, erinnert sich: „Gesch
organisierte den gesamten
Jugendbereich des ASK. Das musste
ja alles aus dem Nichts aufgebaut
werden.“ Neben vielen regionalen
Titeln gewinnen die Nachwuchs-
mannschaften 1957 und 1959 die
DDR-Meisterschaft und den
„
Junge-Welt-Pokal“. Gerhard
Schulz ist genau wie in seiner Zeit
als Schiedsrichter-Funktionär als
rastloser Organisator in seinem
Element.
Horst Wruck, eines der vielen
Talente, die Schulz zu Vorwärts
holt, erzählt aus seiner Zeit als
Jugendspieler: „Er war immer auf
Achse und schaffte die unmöglichs-
ten Dinge – oft im letzten
Moment.“ Und manchmal auch
noch danach. Wruck: „Als wir eines
Tages auf dem Bahnhof Lichten-
berg standen, um zu einem Turnier
nach Halle zu fahren, kam „Gesch“
auf den Bahnsteig gehetzt, als der
Zug gerade abfuhr. Er hatte die
Koffer mit den Trikots dabei. Setzt
euch in die S-Bahn und fahrt nach