24
S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 2 / 2 0 1 2
Zeitreise
Große Erfolge und ein bitter
Mit starker Hand und enormem Fleiß hatte Gerhard Schulz nach dem Zweiten Weltkrieg das Schiedsrich
Deutschlands aufgebaut - darüber haben wir in der Ausgabe Nr. 6/2011 berichtet. Selbst noch aktiv, wur
Schiedsrichter der DDR. Lutz Lüttig beschreibt den weiteren Werdegang von Schulz als Unparteiischer
A
ls das Jahr 1952 anbricht, ist
Gerhard Schulz in sportlicher
Hinsicht ganz oben – als Sport-Funk-
tionär und als Aktiver. Der 46-Jäh-
rige ist Vorsitzender der Schieds-
richter-Kommission der „Sektion
Fußball der DDR“, er leitet viele
wichtige Spiele in der Oberliga und
hat als hauptberuflicher Schieds-
richter-Lehrer fast rund um die
Uhr zu tun. Er gilt als das, was man
heute Workaholic nennt und ist als
Fachmann in Theorie und Praxis
landauf, landab anerkannt.
Der Sportautor Volker Kluge
beschreibt eine Begebenheit aus
dieser Zeit: „Wo Schulz auftrat, war
er der Chef auf dem Platz. Er war
autoritär, aber auch korrekt. Ein-
mal, 1952, war seinem Berliner Kol-
legen Walter Reinhardt in Leipzig
ein Missgeschick passiert, als ihm
die Leitung eines Spiels der dorti-
gen Chemie-Elf gegen eine tsche-
chische Mannschaft namens
Ingstar Teplice aus den Händen glitt.
Es kam auf dem Rasen zu Hand-
greiflichkeiten, von denen sich die
30.000
Zuschauer anstecken
ließen. Verzweifelt suchte der
Schiedsrichter in der Halbzeit die
Kabine auf, wo ihm Schulz vor-
schlug, an seiner Stelle weiterzu-
machen. Widerstrebend willigte
Reinhardt ein.“
Linienrichter Schulz wechselt nach
der Pause von der Seitenlinie in
die Mitte und bringt das Spiel, das
2:6
endet, problemlos zu Ende. Mit
eigenwilligen Entscheidungen der
Sache dienen zu wollen, dabei aber
manche Mitstreiter vor den Kopf
zu stoßen, ist ein Charakterzug
von Schulz, der sich im Laufe der
Jahre immer stärker ausprägt.
***
Der 24. Juli dieses Jahres ist ein
ganz besonderes Datum in der
Fußball-Geschichte der DDR – und
auch im Leben von Gerhard Schulz.
Einerseits werden an diesem Tag
die Voraussetzungen für weitere
Höhepunkte in seiner Schiedsrich-
ter-Karriere geschaffen, anderer-
seits wird ein politischer Ent-
schluss gefasst, der schließlich
zum Verlust seines Broterwerbs als
Schiedsrichter-Lehrer führen wird.
An diesem Tag wird die „Sektion
Fußball der DDR“ beim FIFA-Kon-
gress in Helsinki, der dort anläss-
lich der Olympischen Spiele statt-
findet, als offizielles Mitglied auf-
genommen. Diese Entscheidung
des Exekutiv-Komitees des Welt-
verbandes fällt einstimmig aus –
fast: DFB-Präsident Dr. Peco Bau-
wens enthält sich der Stimme mit
dem Argument, es gebe noch eine
Reihe von Unklarheiten. Dass sich
dahinter der politische Anspruch
der Bundesrepublik verbirgt,
Deutschland auch im Bereich des
Sports allein vertreten zu wollen,
ist sicher nicht nur für die Funkti-
onäre der DDR offensichtlich.
Gerhard Schulz ist das bestimmt
egal, für ihn zählt nur, dass er nun
der FIFA als internationaler
Schiedsrichter gemeldet werden
kann. Ein Ziel, das er Ende der
30
er-Jahre schon einmal erreicht
hat, der Zweite Weltkrieg zerstörte
den Traum von einem Länderspiel.
Der 24. Juli 1952 ist allerdings nur
ein halber Freudentag für Schulz,
das weiß er aber erst viel später.
Denn an diesem Tag wird in Berlin
das „Staatliche Komitee für Kör-
perkultur und Sport beim Minister-
rat der DDR“ gegründet. Geleitet
von Manfred Ewald, soll es im
Sport den von der SED verkünde-
ten „planmäßigen und bewussten
Aufbau der Grundlagen des Sozia-
lismus in der DDR“ vorantreiben
und wird auch der Sektion Fußball
Gerhard Schulz (vorn)
mit seinen Linienrich-
tern beim Entschei-
dungsspiel um den Titel
1953.
Das Foto stammt
aus der umfangreichen
Chronik der DFV-
Schiedsrichter.