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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 2 / 2 0 1 2
Der besondere Fall
E
s geschah in der 37. Minute
des Achtelfinalspiels Ajax
Amsterdam gegen AZ Alkmaar:
Beim Stand von 1:0 befand sich
der Ball im Strafraum von Ajax
Amsterdam, als ein Zuschauer
neben dem Tor des AZ Alkmaar
das Spielfeld betrat und auf Tor-
wart Esteban zulief. Am Teilkreis
vor seinem Strafraums stehend,
bemerkte der Torwart den
Zuschauer, kurz bevor der ihn
erreicht hatte. Mit einem Sprung
versuchte er den Angreifer abzu-
wehren. Der ging dabei zu Boden.
Danach trat Esteban zweimal auf
den am Boden liegenden Zuschauer
ein.
FIFA-Schiedsrichter Bas Nijhuis
hatte den Vorfall beobachtet, das
Spiel sofort unterbrochen und
zeigte dann Torwart Esteban
Rot“. Alkmaars Trainer holte
seine Spieler vom Platz, worauf-
hin der Schiedsrichter das Spiel
abbrach.
Der Spielabbruch wurde also nicht
vom Schiedsrichter, sondern von
der Mannschaft vom AZ Alkmaar
herbeigeführt, da sie mit dem Feld-
verweis ihres Torhüters nicht ein-
verstanden war. Diese Rote Karte
war jedoch aus unserer Sicht völlig
korrekt. Der Torwart setzte sich
zunächst gegen den Angriff des
Zuschauers zur Wehr, das ist nach-
vollziehbar und bleibt unbestraft.
Dann wurde der Torwart aber
zusätzlich aktiv, indem er auf den
bereits am Boden liegenden
Angreifer eintrat. Das war eindeu-
tig mehr als eine Abwehrreaktion,
Rot“ war richtig
Eine Situation in einem niederländischen Pokalspiel erregte Aufsehen in
ganz Europa. Lutz Wagner betrachtet den Vorfall aus regeltechnischer
Sicht.
nämlich „Gewalt gegen eine sons-
tige Person“, wie es in Regel 12
heißt – eine Tätlichkeit, für die die
Rote Karte nicht nur gerechtfer-
tigt, sondern zwingend notwendig
ist.
Da die Begegnung ja abgebrochen
wurde, weil eine Mannschaft sich
weigerte, das Spiel fortzusetzen,
musste sich Schiedsrichter Nijhuis
keine Gedanken mehr über die
Spielfortsetzung machen. Wir wol-
len das an dieser Stelle dennoch
tun, auch weil uns dazu viele
Anfragen erreicht haben.
Wäre der Torwart an dieser Stelle
des Spielfelds bei laufendem Spiel
gegen einen Gegenspieler tätlich
geworden, hätte es am „Tatort“ einen
direkten Freistoß geben müssen.
Bei einer Tätlichkeit gegen
einen Mitspieler oder den Schieds-
richter, wäre das Spiel dort mit
einem indirekten Freistoß fortge-
setzt worden.
Aber: „Bei einer Tätlichkeit an
einer sonstigen Person wird die
Partie mit einem Schiedsrichter-
Ball an der Stelle fortgesetzt, an
der sich der Ball zum Zeitpunkt der
Unterbrechung befand.“ So heißt
es in Regel 12 im Absatz „Tätlich-
keit“.
Grundlage für diese Spielfortset-
zung ist der zeitliche Ablauf der
Ereignisse. Denn eine „sonstige
Person“, wie in diesem Fall der
Zuschauer, muss ja zunächst den
Platz betreten. Und da es in Regel 5
heißt: „Der Schiedsrichter hat die
Partie bei jedem Eingriff von
außen zu unterbrechen“, bestimmt
dieser Vorgang die Art der Spiel-
fortsetzung – Schiedsrichter-Ball.
Es steht uns kein Urteil darüber zu,
dass dieser Feldverweis vor den
Rechtsorganen des Niederländi-
schen Fußball-Verbandes letztlich
keinen Bestand hatte, der Torwart
also nicht bestraft wurde. Im
Bereich des DFB und seiner Lan-
desverbände würde ein solches
Verhalten mit Sicherheit auch eine
Sanktion seitens der Sportgerichte
nach sich ziehen.
Torwart Esteban hat sich umgedreht, versucht die Attacke im Sprung abzuwehren…
und tritt danach auf den gestürzten Zuschauer ein.