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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 2 / 2 0 1 2
Halbzeit-Tagung
dem richtigen Weg, die individuelle
Betreuung muss verstärkt wer-
den.“ Es sei allerdings nicht ganz
einfach, mehr Coaches zu finden,
denn sie müssten allerhöchsten
Ansprüchen genügen. Zurzeit
betreuen 14 Coaches insgesamt
26
Schiedsrichter aus den beiden
Top-Ligen.
Bevor er die Aktiven dann in die
Gruppenarbeiten entließ, ging der
ehemalige FIFA-Schiedsrichter
noch auf die Situation in der
2.
Bundesliga ein. Durch die zu
Saisonbeginn dazugekommenen
Vereine seien die Spiele nicht ein-
facher geworden, die Vorrunde
sei dennoch „ohne Geräusche“
abgelaufen. Besonders erfreulich:
Es haben sich etliche Schieds-
richter mit Perspektive, Potenzial
und Persönlichkeit gezeigt.“
***
Erstmals waren zur Halbzeit-
Tagung auch die 27 „Spezialisten“
eingeladen, die in der Bundesliga
ausschließlich als Assistenten
tätig sind. Bevor sie gemeinsam
mit ihren „Chefs“ in drei Arbeits-
gruppen Szenen aus der Vorrunde
aufarbeiteten, hatte Lutz Wagner
sie im Seminarraum „Palmengar-
ten C“ zusammengezogen, um mit
ihnen über die seit Saisonbeginn
von der FIFA modifizierte Abseits-
Auslegung und deren Anwendung
zu diskutieren.
Dafür hatte der Lehrwart die 306
Spiele der beiden Bundesligen auf
Abseits-Situationen analysieren
lassen. Wagner: „Bei rund 1.100
Szenen ging es darum, dass
jemand aus dem Abseits heraus
so deutlich ins Spiel eingriff, dass
die Strafbarkeit auf der Hand lag.
428-
mal wurde der Torwart so in
seinem Sichtfeld gestört, dass
ebenfalls der Pfiff erfolgen musste.
In 60 Szenen musste geklärt wer-
den, ob der Ball von einem
Abwehrspieler abprallte oder
bewusst gespielt wurde.“ All’ diese
Situationen konnten klar ent-
schieden werden.
Am Ende blieben 15 Szenen übrig,
die Lutz Wagner den Assistenten
als Video zeigte und von ihnen
bewerten ließ. Das Ergebnis war
uneinheitlich, was er auch so
erwartet hatte: „Dieses eine Pro-
zent aller Abseits-Szenen kann
man so oder so entscheiden. Es
gibt Begründungen für ein straf-
bares Abseits genauso wie für die
Entscheidung, das Spiel laufen zu
lassen.“
Entstanden ist diese Situation
durch die Justierung der Abseits-
Auslegung, die den Begriff des Ein-
greifens ins Spiel durch den Abseits
stehenden Angreifer erweitert hat.
Damit ergibt sich für die Assisten-
ten bei der Entscheidung, ob ein
strafbares Abseits vorliegt oder
Lutz Michael Fröhlich arbeitete mit den Schiedsrichtern knifflige
Strafraumszenen auf.
Hellmut Krug bei seiner Gruppenarbeit in Sachen „Teamplay“.
Der Bus der Nationalmannschaft brachte die Teilnehmer vom
Hotel zur Trainings-Halle.
nicht, ein Ermessensbereich, den
es so vorher nicht gegeben hat.
Lutz Wagner: „Diese Grauzone, die
sich in den 27.540 von uns unter-
suchten Spielminuten 15-mal auf-
getan hat, lässt unterschiedliche
Einschätzungen zu. Das kann man
bei der jetzigen Auslegung nicht
vermeiden.“
Sicher ist nach dem ersten halben
Jahr vor allem dies: Die Abwehr-
spieler haben es mit der neuen
Auslegung etwas leichter, der
Angriff schwerer. Am schwierigs-
ten ist die Situation für die Assis-
tenten, weil sie sich mit ihrer Ent-
scheidung auf strafbares Abseits
manches Mal in den „Vermutungs-
bereich“ begeben müssen. Ganz
sicher ist aber vor allem eines:
Die Diskussionen werden nicht
aufhören.
***
Natürlich geht es bei einer sol-
chen Zusammenkunft von fast 70
Top-Schiedsrichtern nicht mehr
um die Grundlagen einer Spiellei-
tung. Im Vordergrund steht in
allen Bereichen die Justierung
der Ermessenspielräume, um eine
einheitliche und berechenbare
Regelanwendung in den Lizenzli-
gen zu gewährleisten. Immer wie-
der muss daran gefeilt werden,
weshalb drei Themen seit zwei
Jahren bei jedem Lehrgang auf-
tauchen: Strafraum-Situationen
und Disziplinar-Kontrolle, Abseits
und Spielunterbrechungen sowie
die Teamarbeit.
Gearbeitet wird in drei Gruppen,
so dass die Referenten Lutz
Michael Fröhlich, Lutz Wagner und
Hellmut Krug ihr Thema im Laufe
des Lehrgangs dreimal vortragen.
Selbstverständlich arbeiten sie
dabei mit aktuellen Szenen aus
dem Bundesliga-Geschehen und
dem internationalen Fußball.
Herausgearbeitet wird dabei zum
Beispiel der Berechtigungsfaktor