wieder. Als er auf die Signatur deu-
tet, ist der Grund für seine Heiter-
keit klar: Der ägyptische FIFA-Refe-
ree Mahmoud Mostafa Kamel aus
Kairo hat nicht nur einfach unter-
schrieben, sondern für seinen
Freund Gerd drei kleine Pyramiden
dazu gemalt.
Auch der Gedanke an seinen 74er-
WM-Einsatz im Dortmunder Westfa-
lenstadion (Schottland gewinnt
2:0
gegen Zaire) bringt Schulen-
burg zum Schmunzeln. „In der 58.
Minute unterbrach der rosa-
bedresste Schiedsrichter die Partie
für mehrere Minuten, da das Flut-
licht fast vollständig ausgefallen
war“, melden die Sportagenturen.
Der „rosabedresste Schiedsrich-
ter“, das ist Gerd Schulenburg, der
sich fast 40 Jahre später in seinem
Laatzener Wohnzimmer noch
genau erinnert: „Die Schotten
spielten damals in einem ganz
dunklen, fast schwarzen Blau. Ich
zog also ein Ausweichtrikot an.“ In
„
Rosa“? „Nein, nein, das war wein-
rot“, korrigiert er. Diese Journalis-
ten …
Es sollte noch eine ganze Weile
dauern, bis die Unparteiischen,
vom Einheits-Schwarz wegkommen –
Schulenburg ist so etwas wie ein
früher Vorreiter. „Schade, dass ich
das Trikot nach dem Spiel wieder
abgeben musste“, bedauert er
noch heute. Die FIFA will das ein-
malige Stück wieder zurückhaben.
Warum? Das hat der Weltverband
damals nicht so recht erklärt. Es
gab wohl nur diesen einen Trikot-
satz in Weinrot, der dann an die
Schiedsrichter-Trios weitergereicht
wurde, die die beiden übrigen Grup-
penspiele der Schotten pfiffen.
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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 1 / 2 0 1 2
Porträt
„
Mag sein“, lächelt Gerd Schulen-
burg, der seinen Humor nie verlo-
ren hat. „In der Schule hatte ich da
manchmal ein bisschen Probleme
mit den Lehrern.“ Der Schalk im
Nacken und der richtige Schnack
(
norddeutsch für Spruch) zum
richtigen Zeitpunkt – sie haben
ihm in seiner Jugend während der
schwierigen 30er- und 40er-Jahre
des vergangenen Jahrhunderts
über manche Klippe geholfen. Und
waren später auch bei vielen, vie-
len hochkarätigen Fußballspielen
in Deutschland und Europa seine
verlässlichen Wegbegleiter.
Zum Beispiel am 15. April 1967 beim
legendären 3:2-Auswärts-Sieg der
Schotten im Wembley-Stadion
gegen den damaligen Weltmeister
England vor 100.000 Zuschauern –
England verliert in der EM-Qualifi-
kation mit Stars wie Gordon Banks,
Jack Charlton, Bobby Moore und
Geoff Hurst. Gerd Schulenburg ist
ein allseits akzeptierter und
respektierter Spielleiter – der erste
kontinentaleuropäische Referee
überhaupt, der in Wembley dieses
Spiel leiten darf.
Oder das Europapokal-Halbfinale
der Landesmeister (heute Cham-
pions League) mit 134.000
Zuschauern im Hampden Park zwi-
schen Celtic Glasgow und Leeds
United (2:1) am 15. April 1970. Diese
Zuschauerzahl ist in einem europä-
ischen Pokalwettbewerb bis heute
unerreicht.
Oder – nur zehn Tage später – am
25.
April 1970: „British Champion-
ship“, wieder Schottland – Eng-
land (0:0), wieder im Glasgower
Hampden Park, vor der Rekordku-
lisse von 137.438 zahlenden
Zuschauern. Gerd Schulenburg ist
gern gesehen als Referee auf der
Insel. Das beruht auf Gegenseitig-
keit: „Ich habe gern in Großbritan-
nien gepfiffen – lieber zehnmal
England als einmal Italien oder
Jugoslawien.“ Der 85-Jährige
begründet das so: „Die Engländer
haben zwar hart gespielt, aber
fair. Und wenn man ihnen die
Grenzen aufgezeigt hat, haben sie
geantwortet ‚Okay, Ref‘ – und sich
auch daran gehalten. Da reichte
eine Geste.“
In Südeuropa wird schon damals
viel lamentiert und diskutiert. „Das
war manchmal Schwerstarbeit“,
sagt Gerd Schulenburg. Beispiels-
weise in Griechenland: Es ist dort
durchaus üblich, dass wichtige
Liga-Spiele von Ausländern gelei-
tet werden. Und so kommt „Schu-
le“ in den „Genuss“, das Derby AEK
Athen gegen Olympiakos Piräus zu
pfeifen. Das ist aber eher kein Fuß-
ballspiel, sondern „der Höllentanz
zweier rivalisierender Nachbarn“,
wie ein Sportjournalist es notiert.
Schulenburg erinnert sich: „Hinter
meinem Rücken wird der Mittelläu-
fer von AEK von seinem Gegner
festgehalten und fällt zu Boden. Er
rappelt sich hoch und tritt zweimal
kräftig zu. Mein Linienrichter Horst
Herden sieht das, und der Platz-
verweis ist fällig.“ Das Ärgerliche
dabei: „Der Bursche will nicht
Warmlaufen für die WM 1974 in Deutschland: Gerhard Schu-
lenburg (Zweiter von rechts) mit Walter Eschweiler, Hans-
Joachim Weyland, Kurt Tschenscher und Klaus Ohmsen (von
links).
Bundesliga-Alltag im Mai 1972: „Schule“ schickt die „Mauer“
des 1. FC Köln auf Abstand, während Hans-Georg Schwarzen-
beck sich auf die Ausführung des Freistoßes konzentriert. Er
erzielte damit das 1:0, die Bayern siegten in Köln 4:1.
Erinnerungsschätze: Zwei
Schulenburg-Trikots mit dem
wichtigsten Emblem, das es
für einen Schiedsrichter gibt.
gehen. Er will einfach nicht. Es ver-
gehen Minuten mit Diskussionen
und endlosem Palaver. Ich weiß
nicht, wie es kam – plötzlich spru-
delt mir der schöne plattdeutsche
Ausspruch ‚Ick pett die gliecks in
Mors‘ über die Lippen. Das Eigen-
artige: Die Griechen verstanden
offenbar Plattdeutsch.“ Für Unkun-
dige: „Ich trete dir gleich in den
Hintern!“ hatte der Schiedsrichter
aus Hamburg dem Spieler ange-
droht. Danach verlässt der Sünder
das Feld. Dass er Plattdeutsch ver-
standen hat, ist eher unwahr-
scheinlich, aber die Körpersprache
spielt eben schon immer eine Rolle
im Verhältnis Schiedsrichter und
Spieler.