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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 1 / 2 0 1 2
genannten „Fotos“ in seinem
Arbeitsspeicher führen, denn jede
Berührung durch einen Mitspieler
muss bei ihm eine neue Bewertung
auslösen, ob eine Abseitsstellung
vorliegt.
Sein doppeltes Pech in diesem Fall:
Er hat zum einen die Berührung
aus der Entfernung von gut 30
Metern nicht zweifelsfrei erkennen
können. Und zum anderen befindet
sich der Leverkusener Angreifer,
der den Ball dann ins Tor schießt,
zwar immer noch vor dem vorletz-
ten Abwehrspieler der Schalker,
aber nun hinter dem Ball
(
Foto
7
b).
Ein sehr verzwickte Szene, die
nur gut zwei Sekunden dauert.
Aber das Tor hätte gelten müssen.
■
1.
FC Nürnberg – VfB Stuttgart
Eine unglückliche Entscheidung
fällte der Schiedsrichter, als er in
diesem Spiel einen Handelfmeter
gegen den 1. FC Nürnberg verhäng-
te. Abwehrspieler Wollscheid
kommt mit seiner Grätsche in
Höhe des Elfmeterpunkts einen
Sekundenbruchteil zu spät, wes-
halb der von Harnik geschossene
Ball ihm zunächst an die Wade
prallt, von dort auf den Boden und
weiter an Wollscheids ausgestreck-
ten rechten Arm
(
Foto 8).
Der Pfiff
ertönt mit leichter Verzögerung,
man spürt schon, dass der
Schiedsrichter sich nicht ganz
sicher ist.
Er musste sich zwischen drei Mög-
lichkeiten entscheiden:
1.
Ging die Hand beziehungsweise
der Arm zum Ball, was einen
Strafstoß nach sich zieht?
2.
Hat der Spieler sich bewusst
„
breiter“ gemacht, was auch
verboten ist?
3.
Oder ist die Armhaltung „natür-
lich“ und deshalb nicht straf-
bar?
Fall 1 scheidet aus, weil der
Abstand zwischen dem Bein, von
dem der Ball abprallt und dem Arm
so gering ist, dass von einer akti-
ven, also absichtlichen Bewegung
zum Ball keine Rede sein kann.
Fall 2 ist äußerst fraglich, da der
Spieler sich in einer Grätschbewe-
gung befindet und sich dabei um
Balance bemühen muss. Der
Schiedsrichter hätte sich also für
die dritte Möglichkeit entscheiden
und das Spiel weiterlaufen lassen
müssen. Dass er dies nach Ansicht
der TV-Bilder einräumte, verdient
Respekt.
„
Das Berühren des Balls an sich ist
noch kein Vergehen“, heißt es in
Regel 12. Damit ist jede Form von
Handspiel gemeint, die „natürlich“
ist, wie wir das heute nennen.
Wobei dieser Ausdruck schon ein
wenig vertrackt ist. Denn „natür-
lich“ bezieht sich in diesem
Zusammenhang ja nicht auf die
menschliche Natur, sondern auf
die Natur des Fußballspiels.
Ein Beispiel: Sollte jemand auf dem
Marktplatz eine Grätsche gegen
einen anderen Fußgänger anset-
zen, werden wir das unnatürlich
finden, einschließlich der Armhal-
tung, die er dabei einnimmt. Macht
das aber ein Spieler auf dem Fuß-
ballplatz, finden wird das ganz
normal, also „natürlich“. Und dass
er dabei seine Arme ausbreitet, um
die Balance zu halten, ist ebenso
„
natürlich“. Fliegt der Ball dann
gegen den Arm, so kann man den
Spieler dafür nicht bestrafen.
Und ein zweites Beispiel: Es ent-
spricht der menschlichen Natur,
einen über Kopfhöhe heranfliegen-
den Ball auffangen zu wollen. Aber
es entspricht nicht der Natur des
Fußballspiels. Deshalb ist ein
Berühren des Balles mit der Hand
oder dem Arm in dieser Höhe
„
unnatürlich“, weil nicht fußball-
spezifisch – und damit strafbar.
Dass ein Schiedsrichter dies alles
in Bruchteilen von Sekunden
bedenken und auseinanderhalten
muss, ist schon oft gesagt und
geschrieben worden. Aber das
macht es auch nicht einfacher.
…
der ihn leicht berührt, wobei Ballack dann nicht mehr im
Abseits steht.
Der abgefälschte Schuss von Harnik prallt gegen den Arm von
Wollscheid.
Ballack und Kießling im Abseits, aber der Ball kommt zu Sam
(
weißer Kreis), …
10.
SPIELTAG
■
Bayer 04 Leverkusen – Schalke 04
Eine höchst knifflige Abseits-Situa-
tion, die nichts mit der neuen Aus-
legung zu tun hat, machte dem
Schiedsrichter-Team in diesem
Spiel die Arbeit nicht leichter. Als
der Ball geflankt wird
(
Foto 7a),
stehen zwei Leverkusener im
Abseits. Dieses Bild legt der Assis-
tent sozusagen im Arbeitsspeicher
seines Gedächtnisses ab. Das
heißt: Greift einer dieser beiden
Spieler ins Spiel ein, muss ich die
Fahne bringen.
Der Ball fliegt zunächst etwa in die
Mitte zwischen den beiden, wo ein
weiterer Angreifer (weißer Kreis)
zwischen zwei Abwehrspielern -
und nicht im Abseits befindlich -
lauert. Mit dem ausgestreckten
rechten Bein versucht er den Ball
zu spielen und lenkt ihn wohl auch
leicht ab, zumindest wenn man
den Fernsehbildern glauben darf.
Das müsste beim Assistenten zum
sofortigen Löschen des oben
Foto 7a
Foto 7b
Foto 8