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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 1 / 2 0 1 2
Analyse
halb nicht in das Spiel eingreift, ist
für den Schiedsrichter aus seiner
zentralen Position besser zu
erkennen als für seinen Assisten-
ten
(
Foto 4b).
Wenn er also die Fahne gehoben
hat, der Schiedsrichter aber der
festen Überzeugung ist, dass der
abseits stehende Spieler sich nicht
strafbar“ gemacht hat, muss er
die Anzeige des Assistenten über-
stimmen. Denn auch wenn wir uns
daran gewöhnt haben, dass dem
Heben der Fahne ein Pfiff folgt:
Das ist kein „Muss“, die Entschei-
dung liegt nach wie vor beim
Schiedsrichter. Dass man sich wie
im vorliegenden Fall per Headset
verständigt – und in unteren Ligen
durch einen Zuruf oder ein kurzes
Gespräch an der Seitenlinie – ist
selbstverständlich. Und auch, dass
man die Proteste der Abwehrspie-
ler souverän abwehrt, weil man
sich seiner Sache sicher ist.
FC Schalke 04 – 1. FC Kaisers-
lautern
Zwei Rote Karten gab es in diesem
Spiel, in beiden Fällen war der
Schiedsrichter der Auffassung,
dass es sich um „Notbremsen“
gehandelt hätte.
Der Lauterer Angreifer Kouemaha
hat in der 28. Minute eine klare
Torchance und spielt in Höhe des
Strafstoßpunkts den Ball rechts
an Torwart Fährmann vorbei. Der
Schalker springt mit den Händen
und dem Kopf voran in die Beine
des Stürmers und bringt ihn so zu
Fall
(
Foto 5).
Dem Schiedsrichter
bleibt kaum eine andere Wahl, als
neben dem Strafstoß auch eine
Rote Karte zu geben. „Gelb“ wäre
nur vertretbar gewesen, wenn der
Torwart eindeutig versucht hätte,
den Ball zu spielen und ihn dabei
knapp verfehlt.
Die zweite Szene spielt im selben
Strafraum, allerdings nach dem
Seitenwechsel. In der 61. Minute
versucht der Schalker Jurado im
Laufduell links an seinem Gegen-
spieler Rodnei vorbeizukommen.
Dabei hakt er sich in den linken
ausgestreckten Arm von Rodnei
ein und lässt sich dann fallen
(
Foto
6
a).
Schaut man sich die Situation
aus der Sicht des Schiedsrichters
an
(
Foto 6b),
könnte man mit sehr
viel Wohlwollen Rodneis Aktion als
Halten bezeichnen und deshalb
den Strafstoß nach der der reinen
Lehre vielleicht vertreten.
wie weit er vom Torwart entfernt ist, sieht der Schiedsrich-
ter besser als sein Assistent.
Der Ball ist nicht mehr in der Nähe, als der Torwart den Stür-
mer zu Fall bringt .
Jurado (rechts) hat sich den Arm von Rodnei geschnappt und
klemmt ihn ein.
Foto 4b
Foto 5
Die Sicht des Schiedsrichters: Ist Rodneis Arm so weit „drau-
ßen“, weil er drückt oder weil Jurado ihn gezogen hat?
Die Rote Karte, die hier zudem
gezeigt wurde, war allerdings
falsch, denn Jurado hatte den Ball,
der sich rechts von seinem Gegen-
spieler befand, nicht unter Kontrol-
le. Und mindestens ein anderer Lau-
terer hätte noch eingreifen können,
so dass von einer klaren Torchance
keine Rede sein konnte.
Obwohl der erste Feldverweis in
Ordnung war, setzt sich der
Schiedsrichter hier völlig unnötig
dem Vorwurf aus, eine Konzes-
sions-Entscheidung gefällt zu
haben. Eine Gefahr, in die ein
Unparteiischer dann gerät, wenn
er den Begriff „Balance“ in Bezug
auf seine Spielleitung falsch
anwendet. Das bedeutet eben
nicht, die gleiche Anzahl von Spie-
lern auf beiden Seiten „herzustel-
len“, sondern seine Entscheidun-
gen für die Teams berechenbar
und nachvollziehbar zu gestalten.
Eine einmal getroffene Entschei-
dung, und mag man sie im Nach-
hinein als Schiedsrichter auch als
falsch einschätzen, kann niemals
durch eine weitere falsche Ent-
scheidung ausgeglichen werden.
Der Schiedsrichter wird dadurch
unglaubwürdig und verliert den
Respekt der Spieler.
Foto 6a
Foto 6b