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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 1 / 2 0 1 2
Regelwerks in der Auseinanderset-
zung mit den Spielern, das takti-
sche Vorgehen vor, während und
nach einem Spiel und auch die Ent-
wicklung der Persönlichkeit zuneh-
mend Bedeutung.
Lutz Wagner, Mitglied in der DFB-
Schiedsrichter-Kommission, sagt
es so: „Zu den Basis-Kompetenzen
eines Unparteiischen gehört
selbstverständlich die Kenntnis
sämtlicher 17 Spielregeln, die
Fähigkeit, diese im Spiel umzuset-
zen sowie die nötige körperliche
Fitness.“ Aber das sei nicht alles:
Im aktuellen Fußballgeschehen
würden diese Fähigkeiten nicht
mehr ausreichen, um die Spiele
möglichst konfliktfrei über die Zeit
zu bringen. Heute müssten die
Referees in der Lage sein, bereits
vor dem Spiel durch angemessene
strategische Maßnahmen die
Grundlage für eine sehr gute Spiel-
leitung zu schaffen. Wagner: „Das
gilt selbstverständlich auch für die
unteren Klassen.“
Die konkrete Planung der Anreise
ist wichtig, genau wie die gut vor-
bereiteten Absprachen mit den
Assistenten und ein freundlicher,
zugleich distanzierter Umgang mit
den Trainern und Betreuern beider
Mannschaften. Zur notwendigen
Strategie eines Schiedsrichters
sollte es zudem gehören, sich über
die aktuellen Tabellenstände der
beteiligten Mannschaften zu infor-
mieren: Geht es um die Meister-
schaft oder gegen den Abstieg? Ist
aus anderen Gründen (Lokalderby,
Vorfälle aus dem Hinspiel zum Bei-
spiel) mit einer harten, kampfbe-
tonten Begegnung zu rechnen?
Auf den strategischen Vorüberle-
gungen baut dann während des
Spiels das situationsbezogene,
richtige taktische Vorgehen eines
Unparteiischen auf.
Im aktuellen DFB-Lehrbrief Nr. 40
gehen die Verfasser auf solche
Maßnahmen ein, damit die Lehr-
warte die Lerneinheiten zur
„
Schiedsrichter-Taktik und Spiellei-
tung“ in den Schiedsrichter-Grup-
pen gut vorbereiten können. Sie
weisen darauf hin, dass der Schieds-
richter in jedem Fall immer wieder
die Zweckmäßigkeit seiner spiel-
technischen und taktischen Maß-
nahmen reflektieren sollte. Steht
der von ihm geleistete Einsatz in
einzelnen Situationen im Verhältnis
zum Erfolg, den er damit hat? Ent-
spricht die Reaktion der Spieler sei-
nen Überlegungen, seinem takti-
schen Vorgehen? Schließlich muss
er seine physischen und psychi-
schen Kräfte passend für die
gesamte Spielzeit zweckmäßig ein-
teilen. „Körner“, die verschenkt
werden, können ihm bei einem
aggressiven, hektischen Spielver-
lauf in der Schlussphase der Begeg-
nung fehlen.
Bestimmt wird das taktische Verhal-
ten von den Vorkenntnissen des
Schiedsrichters auf das zu leitende
Spiel. Dazu kommt der Erfahrungs-
schatz des Unparteiischen, das Ver-
halten einzelner Spieler und nicht
zuletzt der Spielcharakter. In der
Mehrzahl laufen die Spiele so ab,
wie es sich der Unparteiische im
Vorfeld überlegt hat – weitestge-
hend im Rahmen der Spielregeln.
Sie bleiben für ihn steuerbar, er
kann die Begegnung entsprechend
seinen Vorstellungen leiten.
Mitunter jedoch beginnt ein Spiel
anders als gedacht, zum Beispiel
von der ersten Minute an aggressiv,
mit vielen Ruppigkeiten in den
Zweikämpfen, mit häufiger Kritik.
Manchmal kippt die Partie aber
auch nach unvorhergesehenen
Situationen oder nach umstrittenen
Entscheidungen. Dann entwickelt
sich der Spielcharakter anders als
erwartet. Der Schiedsrichter muss
rasch seine Taktik und damit seine
Spielleitung bezüglich seines Auf-
tretens, der Spielstrafen und der
Persönlichen Strafen ändern können.
Vor allem beim Umsetzen des
Regelwerks gehört es zur Schieds-
richter-Leistung, die passenden tak-
tischen Mittel einzusetzen. Vorteil-
Anwendung und der verzögerte
Pfiff sind in einem aggressiv
geführten Spiel eher vorsichtig zu
nutzen, weil es nach einem nicht
sofort geahndeten Regelverstoß
schnell zu einer Eskalation kommen
kann. Bei Aktionen vor dem Tor
(
Eckstöße, Freistöße in Strafraum-
nähe) muss der Schiedsrichter
lieber einmal öfter als einmal zu
wenig die Ausführung verhindern
und auf Spieler einwirken, die ihre
Gegner halten oder zur Seite sto-
ßen.
Bei der Disziplinierung von Spielern
kann er viele Akteure nach einem
Foul mit einer direkten Ansprache
im passenden Ton viel besser errei-
chen als ausschließlich mit autori-
tärem Gehabe. Er kann ihnen ruhig
aber konsequent deutlich machen,
dass er Foulspiel nicht duldet. Es
gehört jedoch zugleich zu seinem
Geschick zu erkennen, wann diese
„
Freundlichkeit“ nicht mehr aus-
reicht, um dann mit energischem
Vorgehen und Persönlichen Strafen
auf Spieler einzuwirken.
Allgemeine Aussagen oder Rufe
wie: „Spielen Sie vorsichtiger!“,
„
So etwas will ich nicht noch mal
sehen!“, „Lassen Sie das!“ zeigen
wenig Wirkung und sind kein wir-
kungsvolles taktisches Mittel.
Weitere Gesichtspunkte, die im
Lehrbrief 40 zur Schiedsrichter-
Taktik angeführt werden:
●
Lauter, klarer Pfiff zu Spielbe-
ginn, verbunden mit einem
sinnvollen weiteren Einsatz der
Sprache der Pfeife.
●
Keine Diskussionen mit den
Spielern, kurze klare Anweisun-
gen in angemessenem Ton.
●
Zunächst eher kleinliche Spiel-
leitung in einem Spiel, das in
der strategischen Vorplanung
als konfliktbehaftet oder
kampfbetont zu erwarten ist.
●
Tatortfestlegung am Strafraum
genau, im Mittelfeld großzügi-
ger.
●
Auf Kritik von Spielern und Trai-
nerbänken nur dann eingehen,
wenn dies absolut erforderlich
ist. Nicht zu kleinlich reagieren.
●
Besondere Tatortnähe des
Schiedsrichters bei Entschei-
dungen in kritischen Spielpha-
sen sicherstellen.
●
Normale Spielunterbrechungen
als „Beruhigungsphasen“ nut-
zen, deshalb zu hektische
Spielfortsetzung punktuell ver-
meiden.
●
Präventives Eingreifen bei Stan-
dard-Situationen, um Halten,
Zerren sowie sonstige Regel-
übertretungen zu vermeiden.
●
Fehlbare Spieler zum Anspre-
chen in Ruhe zur Seite nehmen,
um Ermahnungen und Verwar-
nungen außenwirksam darzu-
stellen.
●
Auf „Pärchenbildungen“ achten
und ihnen früh durch Präsenz
begegnen.
Nach dem Spiel hat der Schieds-
richter im Regelfall das Spielfeld
zügig zu verlassen. Diskussionen
mit Spielern, Trainern, auf ihn
zukommenden Ordnern oder
Zuschauern sind unklug und sorgen
nur für Missverständnisse, Fehl-
interpretationen von Entscheidun-
gen oder sogar Aggressions-Poten-
zial.
Und auch das gehört zum taktisch
klugen Vorgehen nach einem Spiel:
Wird er zu einem Imbiss eingeladen,
so sollte der Schiedsrichter dieser
Einladung grundsätzlich nachkom-
men. Doch auch jetzt hat sich der
Schiedsrichter (wie seine Assisten-
ten!) bei Fragen zum Spielverlauf
zurückzuhalten. Sich „in gemüt-
licher Runde“ nicht über andere
Schiedsrichter negativ zu äußern,
gehört genauso zur „Strategie“ wie
das rechtzeitige Verlassen des
Spielorts.
Dieses Verhalten fördert auch den
Respekt der Offiziellen vor dem
Schiedsrichter – und erleichtert
damit den nächsten Auftritt bei
demselben Verein.
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für Spieler
aber ein Spiel nicht nur pfeifen sondern im besten
Günther Thielking zusammen mit Carsten Voss ver-