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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 1 / 2 0 1 2
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ie 13. Minute der Verlängerung
läuft im entscheidenden Quali-
fikationsspiel für die WM 2010 zwi-
schen Frankreich und Irland: Links
im Torraum legt sich Thierry Henry
den Ball mit einem absichtlichen
Handspiel vor und leitet so das 1:1
durch William Gallas ein. Dieses
Unentschieden reichte den Franzo-
sen zur Teilnahme an der WM, den
Iren bleiben nur Ungläubigkeit und
Wut – auf Henry und das Schieds-
richter-Team.
Überschriften in der Weltpresse wie
Das Skandaltor von Frankreich“
und „Frankreich mogelte sich zur
WM!“ waren noch harmlos. Der iri-
sche Justizminister Dermot Ahern
forderte im Sinne des Fair Play von
der FIFA eine Neuansetzung des
Spiels. Selbst Thierry Henry gab
später zu: „Ja, es war Handspiel.
Aber der Schiedsrichter hat ja nicht
gepfiffen. Da habe ich eben weiter-
gespielt!“ Trotz wütender Proteste
erkannte Martin Hansson den Tref-
fer an. Ausdauernd redeten die iri-
schen Spieler auf den schwedi-
schen Unparteiischen ein. Der
jedoch änderte seine (zu) schnell
gefasste Meinung nicht, dass Henry
den Ball mit dem Körper weiterge-
leitet hätte.
Hansson unterließ es, den französi-
schen Spieler zu fragen: „Haben Sie
den Ball mit der Hand gespielt?“
Auch keiner seiner Assistenten
brachte ihn (per Headset) auf diese
Idee. Damit verpasste der erfahrene
FIFA-Referee die Gelegenheit, Henry
dazu zu bringen, den Regelverstoß
zuzugeben oder dem Franzosen –
im Fall einer Lüge – zumindest eine
moralische Mit-Verantwortung für
das Zustandekommen des irregulä-
ren Treffers zuzuweisen.
Nicht nur für Fachleute wurde in
dieser Situation deutlich: Der
schwedische Schiedsrichter hatte
für einen solchen Vorfall keine Stra-
tegie parat. Das einfache taktische
Mittel des Nachfragens war ihm
offenbar entfallen. Dabei musste
ihm doch bewusst sein, dass zur
Leitung eines Spiels mehr gehört
als nur die Kenntnis der Spielregeln
sowie deren Auslegung und Anwen-
dung. In den zunehmend dynami-
scher werdenden Spielen und bei
den immer neuen Finessen und
Tricks der Spieler ist es unerläss-
lich, dass die Schiedsrichter mehr
und mehr vom Regelwächter zum
Spielleiter, zum Manager eines Fuß-
ballspiels werden.
Und das beileibe nicht nur auf dem
Niveau von Länderspielen.
Bis in die 90er-Jahre ging es in der
Aus- und Weiterbildung der Unpar-
teiischen vorrangig um die Ver-
mittlung von Basiswissen im Rah-
men der amtlichen Fußballregeln.
Begriffe wie Rhetorik, Körperspra-
che und Taktik wurden nur am
Rande in die Spielleitungen einbe-
zogen. Erst in den letzten 15 Jah-
ren bekamen die Umsetzung des
Lehrwesen
Taktik ist nicht nur etwa
Körperlich bereitet sich ein Schiedsrichter mit regelmäßigem Training auf seine Einsätze vor. Damit er
Sinne leiten kann, muss er sich auch im Kopf auf die Begegnungeinstellen. Der DFB-Lehrbrief Nr. 40, den
fasst hat und hier vorstellt, weist Wege zur richtigen Strategie.
Thierry Henry führt den Ball – für viele Zuschauer und Spieler gut erkennbar – deutlich mit der
linken Hand. Anschließend spielt er ihn mit dem Oberschenkel weiter zur Mitte.
Während Torschütze Gallas zum Jubeln abdreht, protestiert „ganz Irland“, Torwart Given ist
schon auf dem Weg zum Schiedsrichter. Auch wenn Spieler bei allen möglichen und unmöglichen
Gelegenheiten den Arm heben: Wenn es so spontan und kollektiv geschieht wie hier, muss der
Schiedsrichter eine Strategie parat haben, um der Sache auf den Grund gehen zu können.