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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 1 / 2 0 1 2
Karte wegen Foulspiels musste ich
zeigen.
Auf dem Weg in die Kabine kommt
von den Zuschauern kein kriti-
sches Wort. Das ist nicht immer so.
Auch auf dem Platz geht es oft
ruppiger zu. Ein einziges Mal habe
ich ein Spiel abgebrochen, weil ein
Spieler mich schlagen wollte. Eine
Sekunde, bevor er mich treffen
konnte, hatten seine Mitspieler ihn
unter sich begraben.
In der zweiten Halbzeit wird das
Spiel lebhafter. Als die Melsunger
den Ball einmal nicht weit und
hoch genug wegschießen, erzielt
Lehnerz das 1:0, fünf Minuten vor
Schluss führt der erste gelungene
Ansatz von Kombinationsfußball
aus Versehen zum Ausgleich. Ins-
gesamt gibt es drei Gelbe Karten.
Es ist ein böses Vorurteil, dass ein
Schiedsrichter einen inneren Tri-
umph verspürt, wenn er möglichst
viele Spieler vom Platz stellen
kann, darf oder muss. Das Gegen-
teil ist der Fall. So wie heute ist es
am angenehmsten: Shakehands
von allen Beteiligten, ein paar
Schulterklopfer von Zuschauern,
hinterher eine Bratwurst und ein
Bier im Vereinsheim, dann die
Rückfahrt.
Die Frage, warum man Schiedsrich-
ter ist, führt in ein psychologi-
sches und biografisches Geflecht
hinein. Je länger ich dabei bin,
desto mehr Parallelen entdecke
ich zu meinem Beruf als Literatur-
Kritiker: Urteilen, Entscheidungen
treffen, seien sie populär oder
unpopulär, und öffentlich dafür
einstehen. Und dabei geistig und
körperlich fit bleiben.
3.800
Euro bekommt ein Schieds-
richter in der Bundesliga pro Ein-
satz; in der 2. Bundesliga sind es
2.000
Euro, in der Verbandsliga
Hessen ein Hundertstel: 40 Euro
plus eine Kilometerpauschale; die
Assistenten sind mit 21 Euro dabei.
Um 11.00 Uhr habe ich meine Woh-
nung verlassen, gegen 19.30 Uhr
bin ich wieder zu Hause. Man muss
den Stundenlohn nicht ausrech-
nen, um zu wissen, dass es nicht
ums Geld ging.
Unparteiische
unter Druck
Warum Schiedsrichter nicht immer
nur Freude haben – und warum es
auf deutschen Fußballplätzen so
nicht weitergehen kann.
Patrick
Hoffmann
über ein Problem, das
den Fußball immer stärker
beschäftigt.
Mit einer Eckstoß-Entscheidung
fängt alles an. Die Spieler des
VSV Hohenbostel sind damit nicht
einverstanden, einige von ihnen
protestieren. Der Libero der Mann-
schaft will sich gar nicht wieder
beruhigen und beleidigt den
Angreifer des FC Rethen mit Wor-
ten, die an dieser Stelle unmöglich
wiedergegeben werden können.
Der Schiedsrichter steht nur wenige
Meter daneben. Er hat alles mitge-
hört und zeigt dem Abwehrmann
die Rote Karte. Dann bricht auf
dem Rasen das Chaos aus.
Sechs oder sieben Hohenbosteler
Spieler, so genau ist das bei dem
Durcheinander nicht zu erkennen,
laufen auf den Schiedsrichter zu,
umzingeln ihn, beschimpfen ihn,
bedrohen ihn. Der Schiedsrichter
berichtet später außerdem, dass er
von einem Spieler angegriffen wor-
den sei. 78 Minuten sind bis dahin
gespielt, und der VSV Hohenbostel,
der sich da gerade so sehr über
einen Eckstoß für den Gegner
ärgert, führt mit 2:0.
Der Schiedsrichter, ein gestande-
ner Kerl, befreit sich nach einiger
Zeit aus der Situation. Er bricht das
Spiel der 1. Fußball-Kreisklasse Han-
nover-Land ab und flüchtet in
einen Geschäftsraum im Vereins-
heim des FC Rethen, der anschlie-
ßend von zwei Ordnern bewacht
werden muss. Von dort aus ruft der
Schiedsrichter die Polizei, die mit
zwei Streifenwagen vorfährt und
ihn auf der Heimfahrt eskortiert.
In Rethen sind sie Tage später noch
immer fassungslos über das, was
sich da auf ihrem Vereinsgelände
abgespielt hat, auch wenn sie sel-
ber gar nichts dafür können.
Immerhin, sagt Rethens Trainer
Jörg Möhle, hat es nach dem Spiel-
abbruch keine Schlägerei gegeben,
auch sonst ist es unter den Fußbal-
lern beider Mannschaften auf dem
Weg in die Umkleidekabinen relativ
ruhig geblieben.
Das ist ja längst keine Selbstver-
ständlichkeit mehr in den untersten
deutschen Spielklassen. Von Schlä-
gen und Tritten gegen den Schieds-
richter ist die Rede, sogar von Pfef-
ferspray-Attacken mitten auf dem
Feld. „Früher wurde der Schieds-
richter auch nicht unbedingt
geliebt“, sagt Wolfgang Mierswa,
aber heute ist es brutaler.“
Mierswa ist der Vorsitzende des
niedersächsischen Schiedsrichter-
Ausschusses, er ist also so etwas
wie der oberste Vertreter der Pfei-
fenmänner in diesem Bundesland,
und er kann daher sehr gut ein-
schätzen, was sich auf den Ama-
teurplätzen derzeit abspielt. „Es
gibt unter den Spielern eine Solida-
risierung“, sagt Mierswa, „nach
dem Motto: Eigentlich ist es ganz
richtig, wenn der ,Schiri‘ mal etwas
aufs Auge bekommt.“
Gerald Bothe hätte bei so einer
Attacke auf dem Platz beinahe sein
Augenlicht verloren. Der Schieds-
richter aus Berlin wurde während
einer Partie in der Senioren-Lan-
desliga von einem Spieler verprü-
gelt, nur weil er kurz vor Schluss
einen Elfmeter für die gegnerische
Mannschaft gepfiffen hatte. Im
Krankenhaus entdecken die Ärzte
zwei Blutgerinnsel in seinem Kopf,
außerdem stellen sie eine Sehstö-
rung fest. Noch ist unklar, ob die
Schäden dauerhaft bleiben werden.
In Berlin haben die Unparteiischen
daraufhin ein Zeichen gesetzt.
Ende Oktober haben sie alle Begeg-
nungen in der Stadt für fünf Minu-
ten unterbrochen, um gegen die
Gewalt zu protestieren. Aber selbst
am Aktionstag mussten zwei
Begegnungen abgebrochen wer-
den, weil es zu Gewaltausbrüchen
gekommen war.
Wenigstens aber wird seit dieser
Aktion wieder vermehrt über das
Gewaltproblem gesprochen. „Es
geht langsam in das Bewusstsein
vieler, dass hier Grenzen über-
schritten werden“, sagt Mierswa.
Ist das so? Im Kölner Stadtteil Wid-
dersdorf ist kürzlich ein Schieds-
richter nach einer Kreisligapartie
in seiner Kabine überfallen worden.
Ein maskierter Mann hat ihn mit
einem Faustschlag niedergestreckt.
Der Täter, ein Widdersdorfer Ver-
einsmitglied, hat inzwischen
gestanden, legt aber Wert darauf,
dass er seiner Meinung nach nur
mit der flachen Hand zugeschlagen
habe.
Man darf das nicht falsch verste-
hen: Die meisten Schiedsrichter
verlassen den Platz immer noch
unversehrt. Sie bringen die 90
Minuten, in denen sie nicht selten
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wild gewordenen Freizeit-Kick-
ern bei der Ausübung ihres Hobbys
behilflich sind, mit viel Engage-
ment über die Bühne. Sie füllen
dann in der Kabine den Spielbe-
richtsbogen aus, packen ihre
Sporttasche und fahren nach
Hause. Dafür opfern sie einen hal-
ben Tag ihrer Freizeit und bekom-
men am Ende ein paar Euro und ein
bisschen Fahrtkosten.
Warum soll man sich das weiter
antun, wenn der Umgang auf dem
Platz immer ruppiger wird? Begrei-
fen die vielen Tausend Fußballer,
was auf sie zukommt, wenn die
Schiedsrichter tatsächlich irgend-
wann nicht mehr kommen sollten?
Wenn sie ernst machen mit ihren
Boykott-Drohungen. Wer regelt
dann den von ihnen so geliebten
Sport?
Blick in die Presse