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durch Traditionen ihren Bezug zur alten Heimat zum Ausdruck bringen und gemeinschaftlichen
Zusammenhalt erleben können. Doch auch diese Traditionen sind veränderlich und entwickeln teilwei-
se Eigendynamiken, die sich von der Fortführung dieser Traditionen im Ursprungsland unterscheiden.
Bedeutung für den Fußball:
Vereine gelten teilweise als Bewahrer von Traditionen. So genannte Heimat- und Traditionsvereine
widmen ihre Arbeit explizit diesem Zweck, aber auch in den Satzungen einiger Sportvereine finden
sich ähnliche Ziele. Ein Teil der ethnischen Vereine wurde mit dem Zweck sowohl der sportlichen
Ertüchtigung als auch der Heimatpflege gegründet.
Vereine besitzen ihre eigenen Farben, Geschichten, Mythen, Legenden sowie Mitglieder, die ihre eige-
nen Rituale und Traditionen pflegen. Die Sportbeteiligung und Mitgliedschaft in einem Verein wird
durch die Sporttraditionen der Eltern mitbestimmt. Ist die Mutter Leichtathletin, sprinten eher auch
die Kinder, ist der Vater Fußballer, kickt auch der Nachwuchs. Hieraus ließe sich auf eine Homogenität
innerhalb der Mitgliederstrukturen der verschiedenen Vereine schließen, doch kommen in
Sportvereinen auch immer Menschen unterschiedlicher sozialer und kultureller Herkunft zusammen.
Soziale Integration verschiedener Einflüsse und Traditionen war daher stets ein Anliegen der
Vereinsarbeit.
Heute stellt die interkulturelle Öffnung eine wichtige Zukunftsaufgabe für viele Vereine dar. In den
Reihen der „deutschen“ Vereine finden sich bereits ganz selbstverständlich viele Spieler/innen mit
Migrationshintergrund. Das ist eine Tatsache, die durch die demographische Entwicklung verstärkt
wird. Umso wichtiger erscheint deshalb ein sensibler Umgang mit kulturellen Unterschieden. Für den
Zusammenhalt und Erfolg im Verein und in der Mannschaft ist es zentral, kulturelle Traditionen, wie
Ess- und Trinkgewohnheiten, religiöse Vorschriften oder Schamgrenzen zu kennen und sie anzuerken-
nen. Mit Offenheit und etwas Neugier lässt sich viel über andere Kulturen und Traditionen erfahren
und der eigene Horizont erweitern. Unwissenheit, Missverständnisse und Vorurteile sind nicht unge-
wöhnlich und lassen sich durch Gespräche und die Kraft, persönliche Gewissheiten und Standpunkte
kritisch zu hinterfragen, ausräumen.
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TRADITION
Definition:
Tradition leitet sich von dem lateinischen Begriff für „Überlieferung“ oder „Übergabe“ ab. Traditionen
sind demnach kulturspezifische Formen des Wissens, Verhaltens und Handelns, die sich in weitergege-
benen und übernommenen Bräuchen, Ritualen, Regeln, Lebensweisen oder Institutionen zeigen.
Traditionen sind ein zentraler Bestandteil menschlicher Kultur. Materielle wie geistige Traditionen
funktionieren als eine Art soziales Gedächtnis von Gemeinschaften, um Erinnerungen und
Erfahrungen zu bewahren. Sie sind der kulturelle und überzeitliche Kitt der Generationen. Durch
Traditionen werden Vergangenheit und Gegenwart sinnhaft vermittelt. Daher sind Traditionen nicht
nur Überbleibsel der Vergangenheit, sondern vermitteln auch ein Bild, das sich die Menschen der
Gegenwart von ihrer gemeinsamen Vergangenheit machen. Auf diese Weise schaffen und stabilisieren
Traditionen Gemeinschaften.
Ihren vorrangigen Wert besitzen Traditionen jedoch als Orientierung für die Gegenwart. Sie geben
lebenspraktische Anleitungen, liefern Selbstdeutungen und verleihen persönliche und kollektive
Identität. Dabei erheben Traditionen normative und autoritative Ansprüche gegenüber den
Mitgliedern einer Kultur, indem sie vorgeben, altehrwürdig und unveränderlich zu sein. Jedoch lassen
sich Traditionen im Lichte veränderter Gegebenheiten anders deuten und eventuell anpassen. Die
Spannung zwischen Bewahrung und Bruch von Traditionen trägt zum beständigen Wandel von Kultur
und Gesellschaft bei.
Gesellschaftliche Bedeutung:
In der Wissenschaft ist vom Gegensatz der traditionellen und modernen Gesellschaften die Rede.
Diese Unterscheidung unterstellt scheinbar, dass Traditionen im doppelten Sinne der Vergangenheit
angehörten, sie also Relikte der Vergangenheit sind, die in modernen Gesellschaften keine Bedeutung
mehr hätten. Aber auch die moderne gesellschaftliche Gegenwart ist voller Traditionen, Rituale und
Bräuche. Von religiösen Vorschriften und Festen über literarische oder philosophische Traditionen bis
zu regionalen Sporttraditionen. Traditionen haben noch immer eine große Bedeutung für das Denken,
Handeln und den sozialen Zusammenhalt. Allerdings sollten sie für die Gegenwart „anschlussfähig“
sein. Denn das Wissen um die Veränderlichkeit von Traditionen und die große Auswahl an Alternativen
begünstigen heute tatsächlich, dass Traditionen, die unzeitgemäß erscheinen, abgelehnt werden.
Deutschland ist die Heimat vieler Kulturen. Neben die kulturellen Unterschiede der Regionen treten
die Kulturen und Traditionen der Zuwander/innen, so dass man heute von einer vielleicht nie da gewe-
senen Vielfalt kultureller Traditionen in Deutschland sprechen kann. Integration verlangt dabei nicht
die Verleugnung der kulturellen Identität bzw. die Aufgabe von Traditionen. Grundlage für Integration
ist eine wechselseitige Anerkennung kultureller Unterschiede. Allerdings bedeutet Integration auch,
scheinbare Wahrheiten und vermeintliche Normalitäten zu hinterfragen. Die Offenheit gegenüber den
kulturellen Eigenarten der Aufnahmegesellschaft, ist eine wichtige Vorrausetzung, um an dieser zu
teilzuhaben. Durch den interkulturellen Austausch entsteht die Möglichkeit für Veränderungen. Für
Menschen mit Migrationshintergrund haben Traditionen bisweilen einen höheren Stellenwert, weil sie