INTEGRATION A–Z
NATION
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Das Bild der Nationalmannschaft gibt Anlass neu über die deutsche Gesellschaft nachzudenken
und vollbrachte Integrationsleistungen anzuerkennen. Fußball, und insbesondere Spiele der
Nationalmannschaften, vermitteln Gefühle von Gemeinschaft, doch diese Gemeinschaft ist nicht
exklusiv. Jeder kann mitspielen, jeder kann Fan sein, unabhängig von sozialer Zugehörigkeit und
Nationalität. Jeder kann durch das Erbringen von Höchstleistungen, unabhängig der Herkunft, sozia-
len Aufstieg schaffen. Gerade diese von der Nationalmannschaft ausgehende Botschaft ist eminent
wichtig.
Minderheiten und kriegerische Auseinandersetzungen mit anderen Nationen. Die vermeintliche
Verteidigung der „Schicksalsgemeinschaft“ der deutschen Nation diente den Nationalsozialisten als
Rechtfertigung für ihre Verbrechen.
In den letzten 60 Jahren wurde durch die europäische Einigung mit alten nationalen „Feindschaften“
gebrochen. Die nationalen Grenzen sind in diesem Prozess unschärfer und durchlässiger geworden.
Gemeinsamkeiten, statt nationaler Gegensätze, werden betont. Auch sprachlich ist an die Stelle
der Nation die Gesellschaft getreten, statt von Volk ist die Rede von der Bevölkerung. Dementsprechend
wird Gleichheit heute nicht mehr national, ethnisch oder kulturell, sondern als rechtliche Gleichstellungs-
und Teilhabechancen verstanden. Die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund zu fördern
und sie als gleichberechtigte Bürger/innen anzuerkennen, ist dabei eine wichtige Aufgabe.
Bedeutung für den Fußball:
Sportliche Großereignisse haben seit jeher das Potenzial, große Menschenmassen zu begeistern und
zu beeinflussen. Auch Fußballstadien können zu Arenen nationaler Emotionen werden. Insbesondere
Spiele der Nationalmannschaften fördern auf dem Rasen, den Rängen oder beim Public-Viewing eine
nationale Zusammengehörigkeit. Die Identifikation mit der Mannschaft macht die vorgestellte
Gemeinschaft der Nation erfahrbar.
Aus diesen Gründen kann der Fußball, auch unfreiwillig, zum Mittel nationaler Politik und Motor gesell-
schaftlicher Entwicklungen werden. Die Nationalsozialisten missbrauchten diese Macht des Sports
bewusst für ihre Zwecke. Untersuchungen über den deutschen „Fußball unterm Hakenkreuz“ belegen
die Verwicklungen des deutschen Fußballs mit dem Regime.
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Die Wechselbeziehungen von Fußball
und Politik, nationalem Selbstbewusstsein und Identität werden in positivem Sinne bei den
Nationalmannschaften sichtbar. Das „Wunder von Bern“ wurde nach der deutschen Niederlage im
Zweiten Weltkrieg als symbolische Wiederauferstehung Deutschlands gefeiert.
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Der Erfolg des DFB-
Teams bei der Weltmeisterschaft 1990 stand der nationalen Wiedervereinigung Deutschlands Pate.
Wenn die sportliche Niederlage einer Nationalmannschaft als „nationale Niederlage“ oder gar kollek-
tive Demütigung empfunden wird, ist das Ende sportlichen Fairplay und der Toleranz längst erreicht.
Schwelende politische Konflikte können durch Sport verstärkt werden. So kam es 1969 nach drei WM-
Qualifikationsspielen zwischen den Nationalmannschaften von El Salvador und Honduras, die von
schweren Ausschreitungen überschatten wurden, zum so genannten „Fußballkrieg“. Die militärische
Auseinandersetzung der Nachbarländer dauerte vier Tage und kostete 2.100 Menschen das Leben.
Solche Konflikte sind die Ausnahme, denn Nationalteams sind nicht zwangsläufig Motoren für
Nationalismus. Dennoch haben sie eine wichtige Funktion für die gesellschaftliche Identifikation. Die
Nationalmannschaften spielen nicht bloß Fußball, sie sind auch Aushängeschilder der Länder. So las-
sen sich auch gesellschaftliche Veränderungen in der Zusammensetzung der Nationalmannschaften
ablesen. Schon 1954 gab es Spieler mit Migrationshintergrund in der deutschen Nationalmannschaft
Heute spiegeln Spieler/innen wie Podolski, Özil oder Bajramaj und ethnische Vereine wie die Türkische
Jugend Dormagen oder SD Croatia Berlin eine pluralistische Gesellschaft.
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66.
Havemann, Nils: Fußball unterm Hakenkreuz: der DFB zwischen Sport,
Politik und Kommerz. Frankfurt am Main.
67.
Kasza, Peter (2004): 1954 – Fußball spielt Geschichte. Das Wunder von
Bern. Bonn.