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KOPFTUCH
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Kopftuch
Definition:
Das Kopftuch ist kein gewöhnliches Stück Stoff. Das Kopftuch muslimischer Frauen hat in den letzten
Jahren eine Aufmerksamkeit erfahren, die wohl nur wenigen Kleidungsstücken widerfährt. Galten
Kopftücher noch bis in die 1960er Jahre in Deutschland als modisch und schick, werden sie seit der
Zuwanderung von Menschen aus muslimisch geprägten Ländern wie der Türkei, in der Regel mit
Fremdheit, Rückständigkeit oder Unterdrückung assoziiert. Seit den 1990er Jahren ist das Kopftuch
Gegenstand heftiger gesellschaftlicher und politischer Debatten. Das deutsche Grundgesetz schützt
das Tragen des Kopftuchs in der Öffentlichkeit durch Artikel 4 (Religionsfreiheit).
Das Kopftuchgebot für muslimische Frauen ist nicht nur im Westen umstritten. Auch in der islamischen
Welt herrscht Uneinigkeit, ob aus dem Koran eine eindeutige Verschleierungspflicht abzuleiten ist. In
vielen islamischen Ländern gilt das Kopftuch allerdings nicht nur als religiöse Vorschrift, sondern auch
als Teil der nationalen Kleidungstraditionen.
Die unterschiedlichen Vorschriften in den verschiedenen Ländern (zum Beispiel in der Türkei
Kopftuchverbot in öffentlichen Gebäuden, im Iran Kopftuchpflicht) und die diversen Formen der
Verschleierung ergeben ein vielfältiges Bild, das in der Wahrnehmung der Musliminnen in Deutschland
mitunter übersehen wird. Diese Vielfalt wird auch an folgenden Zahlen zur Einstellung der türkisch-
stämmigen Muslime deutlich: 33,8 % der türkischstämmigen Muslime in Deutschland stimmen der
Aussage „Muslimische Frauen sollten in der Öffentlichkeit generell ein Kopftuch tragen“ voll zu,
12,8 %
stimmen eher zu, 13,6 % stimmen eher nicht zu, 29,7 % stimmen gar nicht zu – 10,1 % machen
keine Angaben.
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Der genaue Anteil der Kopftuchträgerinnen unter den Musliminnen ist nicht bekannt, wird allerdings
durchgehend mit deutlich unter 50 % vermutet. Erhoben wurde jedoch, dass 97 % der Kopf-
tuchträgerinnen in Deutschland das Kopftuch aus religiöser Pflicht tragen.
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Gesellschaftliche Bedeutung:
Die Diskussion um das Kopftuch hat einen starken Einfluss auf die Wahrnehmung der muslimischen
Lebenswelt und ihren Umgang mit religiösen Vorschriften. In Deutschland erreichte der
Kopftuchstreit“ 1997 seinen Höhepunkt, als ein Gericht einer muslimischen Lehrerin das Tragen eines
Kopftuches in der Schule untersagte, weil es in der Kopfbedeckung einen unzulässigen religiösen
Bezug sah. Die Abwägung zwischen staatlicher Neutralitätspflicht und der prinzipiellen Gleichstellung
der Geschlechter auf der einen und der individuellen Religionsfreiheit auf der anderen Seite, schafft
in Bereichen des öffentlichen Lebens Konflikte, denen die Verfassungen Europas mit unterschiedli-
chen Regelungen begegnen.
Während einige laizistische Staaten (Laizismus = strikte Trennung von Staat und Religion), wie
Frankreich oder die Türkei, Religionsbekundungen jeder Art in den Bereich des Privaten verbannen,
erlauben andere Staaten das Einbringen religiöser Werte und Symbole auch im Staatsdienst (so dür-
fen zum Beispiel bei der englischen Polizei männliche Sikhs Turbane oder Musliminnen Kopftücher
tragen). In Deutschland wurde nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in einigen
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Stiftung Zentrum für Türkeistudien (2006), „Islam in Deutschland
Einstellungen der türkischstämmigen Muslime“, Essen
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Konrad-Adenauer-Stiftung (2006), „Das Kopftuch – Entschleierung eines
Symbols“, Sankt Augustin/Berlin
Vermeidung von Stereotypen und Vorurteilen. Einerseits ist die Bewusstmachung kultureller
Unterschiede wichtig, andererseits sollten Differenzen nicht „überbetont“ werden. Durch
Gleichmacherei“ gehen Chancen individueller Förderung verloren, aber durch Ethnisierungen kön-
nen sich negative Vorurteile verstärken. Interkulturelle Kompetenz heißt, allen Aktiven, gleich welcher
Herkunft, dieselbe Wertschätzung entgegen zu bringen.
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INTERKULTURELLE ÖFFNUNG
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